Die Weltwoche

25.09.2003

Warum Frauen betrügen

Ein männlicher Alptraum bewahrheitet sich: Eine Studie zeigt, weibliche Untreue ist allgegenwärtig. Und die Frauen verstehen es meisterhaft, sie zu verstecken. Wie leben Männer damit?

Von Eugen Sorg ·

Es war wieder einmal eine schlechte Nachricht. Zumindest für uns Männer. Die amerikanische Gender-Forscherin Susan Shapiro Barash hatte verheiratete Frauen zu ihrem ehelichen und ausserehelichen Sexleben befragt. In ihrer vor kurzem veröffentlichten Studie* stellte sie fest, dass sechzig Prozent der aus allen Schichten stammenden Gattinnen mindestens einmal ihre Ehemänner betrügen. Und dies – in brutalen neunzig Prozent aller Fälle – gar ohne schlechtes Gewissen. Die Ehebrecherinnen gaben an, sich zum Seitensprung «berechtigt» gefühlt zu haben. Zwei Drittel meinten zudem, der Sex mit der Affäre sei besser gewesen als derjenige zu Hause. Und nach all dem erstaunte es auch nicht mehr, dass 97 Prozent der Treulosen erwähnten, sich erotische Edeldessous gekauft zu haben – aber nicht für den Ehemann.

Noch beunruhigender wird die ganze Sache, wenn man berücksichtigt, dass nirgends so viel geschummelt wird wie in sexuellen Angelegenheiten. Es ist zu vermuten, dass die Zahl der Seitenspringerinnen tatsächlich noch höher ist. Als ich einigen Freunden und Kollegen diese düsteren Meldungen weitererzähle, reagieren sie aber mit verblüffender Gelassenheit, obwohl sie keinen Augenblick die Resultate dieser Studie anzuzweifeln scheinen. Er sei schon immer irgendwie sicher gewesen, sagt einer, dass die Frauen beim Seitensprung kein schlechtes Gewissen hätten – im Gegensatz zu den Männern. Ein anderer, Lars, pflichtet ihm bei. Genau, sagt er, und was die sehr verbreitete weibliche Untreue betreffe, so brauche man nur die eigene Partnerschaft anzuschauen. Er zum Beispiel hat seine jetzige Frau kennen gelernt, als sie noch mit einem anderen zusammen war. Er würde, fährt er fort und lacht kurz auf, keine zehn Franken auf die Treue seiner Frau wetten.

Es war kein verächtliches oder zynisches Lachen, eher eines, in dem sich so etwas wie eine plötzliche Einsicht in die Übermacht des Schicksals ausdrückte, eine Art heroischer Nihilismus, ein männliches Sichfügen in die unvermeidliche Niederlage. Wir anderen verstehen jedenfalls sofort, von was er spricht, und lachen mit. Ich weiss, dass er seine Frau liebt und verehrt, und will von ihm hören, wie er reagieren würde, wäre sie ihm tatsächlich untreu. Die grosse Katastrophe, sagt er, ohne nachzudenken, und lacht erneut, dies wäre die grosse Katastrophe, schlimmer als Krieg. Er ertappe sich übrigens immer wieder dabei, wie er seine beiden Kinder aufmerksam beobachte, ob sie ihm auch wirklich glichen. Man wisse ja, dass etwa jedes siebte Kind nicht vom offiziellen Vater abstamme. Wieder lachen wir alle und wissen gleichzeitig, dass er es todernst gemeint hat. Hinter unserer Ausgelassenheit lauern Panik, Zähneklappern und Amoksaufen.

Für einen Moment wird es still, und durch unsere Hirne geistern erlebte oder befürchtete Horrorszenarien. Ich zum Beispiel kann das Lars gut nachfühlen. Nur schon die harmlose Kollegenhand auf dem Schenkel meiner Freundin anlässlich einer fröhlichen Abendgesellschaft kann ich noch Jahre später mühelos aus dem Gedächtnis abrufen, einschliesslich des damit verbundenen Stiches in der Bauchgegend. Und um die wirklichen Tiefschläge in meiner Beziehungsbiografie mache ich nach wie vor einen grossen Bogen, als wären es hochtoxische Sumpfgebiete.

Mann ist froh, nicht alles zu wissen

Nachdem wir die Sprache wieder gefunden haben, lecken wir ein wenig unsere Wunden und philosophieren über das Wesen von Mann und Frau. Ich sage, irgendwo hätte ich gelesen, dass die Selbstmordrate nach Trennungen bei Männern viermal höher sei als bei Frauen. Kein Wunder, wirft Kollege Nico, ehemaliger Psychoanalytiker, zum dritten Mal verheiratet, ein. Männer geben mehr in die Beziehung hinein: mehr Bedingungslosigkeit, mehr Projektionen, mehr Verschmelzungsfantasien, mehr Hoffnung auf totale Liebe. Umso grösser ist die Leere nach dem Bruch und umso tiefer der emotionale Absturz. Und würden dafür, schaltet sich Lars ein, erst noch als narzisstische Jammersäcke, als infantile Paschas, die nur dem verlorenen Machtnuggi nachweinten, verhöhnt.

Frauen hingegen, doziert Nico weiter, seien realistischer, illusionsloser, genössen das Werben des Mannes, genössen, wie er ihretwegen zappelt, und wüssten insgeheim, dass es auch ein anderer sein könnte. Und weil sie weniger in der Beziehung hängen, sind sie die Stärkeren, können besser gamblen, steuern, subtil manipulieren und überstehen leichter das Fiasko des Endes. Vielleicht können Frauen nur sich selber und ihre Kinder lieben.

Niemand widerspricht, alle grinsen etwas verlegen, und irgendeiner meint noch, dass er nachvollziehen könne, warum die Araber ihre Frauen unter einen Schleier steckten und zu lebenslänglichem Hausarrest verknurrten. Dann sagt Lars, er sei jetzt 45 Jahre alt, zum zweiten Mal verheiratet und er müsse feststellen, dass er im Grunde immer noch keine Ahnung habe, was in Frauen vor sich gehe. Wie sie tickten, wie sie dächten und fühlten, warum sie alle «Sex and the City» schauten – lauter ungelöste Fragen. Aber, fügt er an, er sei gar nicht sicher, ob er es so genau wissen wolle, nein, eigentlich sei er froh, nicht alles zu wissen.

Bei meinen weiblichen Bekannten vermeine ich ein leichtes Mitleid zu spüren, als ich sie mit den Betrugsdaten konfrontiere. Sie könne mir schon erzählen, was sie davon halte, lacht zum Beispiel Lisa, aber ich würde mich danach schlecht fühlen. Lisa, Ende dreissig, geschieden, eine liebeserfahrene Frau mit solider naturwissenschaftlicher Ausbildung, konsultiere ich jeweils, wenn es um Problemstellungen im Geschlechterkampf geht. Also, fängt sie an, sie würde die sechzig Prozent nach oben korrigieren, in ihrem weiblichen Bekanntenkreis komme ihr nur eine in den Sinn, die ihren Mann noch nie betrogen habe. Und Lisa kann leider auch bestätigen, dass sich beim Fremdgang das schlechte Gewissen, ausser beim ersten Mal, sehr in Grenzen halte.

Worum es bei den Affären geht? Im weitesten Sinne natürlich um Sex, antwortet Lisa, aber auch sehr viel um Begehrtwerden. In der Ehe wird der Sex nach einiger Zeit langweilig, qualitativ schlechter, selten. Wenn es nach einigen Jahren Zusammenleben noch alle zwei Monate dazu kommt, ist das beachtenswert, sie hat Freundinnen, die seit Jahren nicht mehr mit ihren Männern geschlafen haben – eine geringe Quote angesichts des allgegenwärtigen Geschwätzes über Sex, all der Filme und all des bedruckten Papiers, welche die Illusion nähren, dass guter Sex die Norm und kein guter Sex das selbstverschuldet verpasste Leben sei.

Wenn es im Bett nicht mehr gut laufe, sagt sie weiter, komme aber eher die Frau zu kurz. Diese braucht mehr Zeit, um auf Touren zu kommen, Frauensex ist komplizierter, ihre erotische Feinmechanik anspruchsvoller als die relativ primitive des Mannes, sie will erobert werden, braucht es, dass der Mann wirbt und balzt. Aber dieser ganze evolutionsgeschichtlich sinnvolle Paarungsaufwand macht eben keinen Sinn mehr, wenn man sich ohnehin hat. Auf jeden Fall keinen für den Mann, und auch auf die Frau wird er mit der Zeit lächerlich wirken. Aber trotzdem ist ihr Bedürfnis, begehrt und verführt zu werden, weiterhin da. Und Gelegenheiten für eine Affäre bieten sich einer Frau heute viele.

Welche?

Treffpunkt Fitnesscenter und Internet

Klassiker ist immer noch der Arbeitsort. Häufig fündig wird man aber auch nach wie vor im Freundeskreis. Sehr geeignet und von einigen ihrer Kolleginnen rege benützt sind zudem die Fitnesscenter, in Zürich zum Beispiel «Stockerhof» oder «Luxor». Anders als in einer Bar, wo man sofort als Aufrissobjekt taxiert wird, kann man sich unverdächtig und zwanglos dem Aufbauprogramm widmen und gleichzeitig die Körper der potenziellen Partner in Augenschein nehmen. Und wahrscheinlich am verbreitetsten, weil unauffällig, geschützt und mit riesigen Wahlmöglichkeiten, ist mittlerweile das Internet.

Wie die anderen meiner weiblichen Bekannten wundert sich auch Lisa darüber, wie vollkommen blind die Ehemänner oft sind. Vielleicht spiele eine Rolle, mutmasst sie, dass Frauen immer noch von einer grösseren Unschuldsvermutung profitierten, im Gegensatz zu den Männern, die von vornherein als Triebtäter gelten. Andererseits ist da aber auch die Fähigkeit zu raffinierten Ausreden und elaborierten Vertuschungsstrategien. Und hilfreich für eine kaltblütige Abwicklung ist das erwähnte weitgehende Fehlen eines schlechten Gewissens.

Die Evolution zeigt kein Erbarmen

Meistens handelt es sich um eine kurze Affäre, um ein oder zwei Rencontres, höchstens drei, danach wird es emotional zu verbindlich und eine Gefahr für die Ehe. Doch die Hoffnung, in der Affäre die vermisste sexuelle Erfüllung zu finden, erweist sich oft als trügerisch. Sie glaube einen Grossteil der Orgasmusgeschichten nicht, meint Lisa, Frauen könnten punkto Höhepunkt nicht nur ihre Bettpartner perfekt täuschen, sondern würden auch die Freundinnen und die Umfragestatistiker belügen. Ihre private Schätzung ist, dass neunzig Prozent der Geschlechtsgenossinnen Klimaxprobleme haben. Nicht nur innerhalb der Ehe, sondern auch ausserhalb. Und dies hat wiederum viel damit zu tun, dass der weibliche Orgasmus biologisch gesehen unwichtig ist, ohne Bedeutung für die Fortpflanzung, im Gegensatz eben zu demjenigen des Mannes, der einer entsprechend simplen und effizienten Funktionsweise gehorcht.

Was Lisa erzählt, hatte mich entgegen ihrer Prognose nicht in eine miese Laune versetzt. Allerdings auch nicht heiter gestimmt. Eher habe ich das Gefühl bekommen, Berichten über zwei Stämme zuzuhören, über zwei grundverschiedenen Ethnien, die gleichzeitig zum symbiotischen Zusammenleben wie zum unauflösbaren Missverständnis verurteilt sind. Und da ich zufällig Angehöriger einer der beiden Populationen bin, kann ich meine individuelle Serie von bisherigen Beziehungsdesastern als höhere Tragik einer erbarmungslos programmierten Evolution deuten. Dies ist ein wenig entlastend, aber trotzdem nicht befriedigend. Die weiteren Gespräche verstärken noch meine Ratlosigkeit.

Auch Carola, 50-jährig, zweimal geschieden, sagt, dass alle Frauen, die sie kenne, fremd gegangen seien. Nicht notorisch, sondern vielleicht zwei- oder dreimal während einer längeren Beziehung. Wie sie selber auch. Ohne Gewissensbisse, lediglich mit dem Problem, es vor dem Mann zu verstecken, was immer gelungen sei. Sie weiss, wie extrem weh es dem Betrogenen tut, wie man sich zurückgesetzt fühlt und alles an Selbstschutz ausser Kraft gesetzt ist.

Nach ihrer bisherigen Erfahrung verlaufen viele Ehen oder Partnerschaften ähnlich wie ihre eigenen. Sobald sich der Mann der Frau sicher ist, lassen seine Aufmerksamkeiten nach, und die Frau, die will, dass er ihren neuen Lippenstift bemerkt, dass er mit ihr etwas unternimmt, fühlt sich zunehmend vernachlässigt. Sie versucht, ihm ihre Lage verständlich zu machen, und so tritt immer häufiger jene von den Männern so gefürchtete Situation ein, eine Situation, die sie etwa so schätzen wie eine Darmspiegelung, dass nämlich die Frau über die Beziehung reden will. Sie erwartet von ihm, dass er sie ernst nimmt, auch dass er etwas macht, er ist ja das starke Geschlecht. Und während er sich vor der Nörgelei in irgendein inneres Réduit verkriecht, reift sie zur Bereitschaft heran, jenem anderen in die Arme zu sinken, der ihre Lage erfasst und im richtigen Moment sagt: Mein Gott, wie bist du schön. Sie sei mit guten, gescheiten Männern zusammen gewesen, bilanziert Carola, aber jedes Mal habe sie sich gegen das Ende hin wie ein garantiertes Mietobjekt, wie ein Schuhlöffel behandelt gefühlt.

Ursachenforschung hingegen interessiert Leyla, 35-jährig, geschieden, nicht. Alle Frauen, die sie kenne, meint sie, seien untreu, ausser – sie zwinkert treuherzig -, ausser natürlich sie selber. Und jede findet einen passenden Grund, so sie denn einen braucht. In Anbetracht dieser banalen Unabänderlichkeit ist die Phänomenologie viel spannender. Beispielsweise bluffen Frauen wie Männer, die bekanntlich ebenfalls untreu sind, schamlos und schwindeln, was ihre Sexabenteuer betrifft. Aber sie tun dies auf verschiedene Weise. Männer prahlen mit der Zahl ihrer Flachlegungen, Frauen mit der Heftigkeit der Zuneigung ihres Liebhabers. Frauen brauchen eine Rechtfertigung, wenn es um Sex geht, Verliebtheit, Romantik, tiefe Blicke, und ihren Freundinnen erzählen sie, der Mann von letzter Nacht habe ihnen ein total süsses Liebesgeständnis gemacht, und sie würden nie verraten, dass er so betrunken war, dass er nicht mal mehr ihren Namen wusste. Sie wollen begehrt sein und attraktiv. Das Wichtigste ist, dass sie dem Mann etwas bedeuten, und nicht, ob der Mann ihnen etwas bedeutet.

Die Lage ist noch schlimmer als befürchtet

Wie Lisa, Carola und andere scheint auch Leyla die weibliche Untreue als quasi naturhafte Gegebenheit zu betrachten, und mein Fazit daraus ist, dass die Lage noch übler ist, als ich befürchtet habe, und eine Lösung der Geschlechterfrage wie eh und je in unerreichbarer Ferne liegt. Ich bin selber erstaunt, dass ich trotz dieser Einsicht nicht zu Boden gegangen bin. Ich weiss, es geht weiter, ich werde weitermachen, genau wie die anderen, wie Lars, wie Nico, wie Carola. Warum eigentlich? Scheiss drauf. Weil wir nicht anders können. Weil wir heillose Illusionisten sind. Weil wir wissen, dass bei der nächsten Liebe alles anders sein wird.

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