Die Weltwoche

16.04.2020

Eine Frage der Moral

Fisch namens Wanda

Von Eugen Sorg

Es ist menschlich, die Verantwortung für die eigene Dummheit auf Präsident Trump abzuwälzen, wie das eine Frau aus Arizona tat. Das Vorgehen der Medien in diesem Fall aber ist zynisch.

Gary, 68, und Wanda, 61, ein Paar aus Arizona, wollten sich vor dem Coronavirus schützen und entschieden sich für eine gemeinsame Selbstisolation in ihrem Haus. Sie hielten via Telefon Kontakt mit Familie und Freunden, man schaute viel fern. Aber offenbar fühlten sie sich auch hinter den geschlossenen Türen und Fenstern der Quarantäne nicht sicher vor den heimtückischen Viren. Sie beschlossen nämlich schon nach wenigen Tagen, Chloroquinphosphat zu sich zu nehmen. Mit dem weissen chemischen Pulver reinigte Wanda normalerweise das Fischaquarium. Das Präparat vernichtet Algen, Würmer und Parasiten. Es sollte aber auch, so die Meinung des Paares, die Fähigkeit haben, das Coronavirus abzuwehren und auszumerzen. Weder Wanda noch Gary hatten zwar irgendwelche Krankheitssymptome, aber, dachten sie vermutlich, doppelt genäht hält besser.

Zwanzig Minuten nachdem sie je einen Teelöffel des Teichreinigers geschluckt hatten, fühlten sie sich so elend, dass sie den Notfall benachrichtigten. Gary starb ein paar Stunden später im Spital an Herzversagen. Wanda überlebte. Sie hatte das Reinigungspulver wieder erbrochen.

In Interviews erklärte sie später, sie hätten einen «schrecklichen, tragischen Fehler» gemacht, es sei «dumm und furchtbar» gewesen, sie hätten dies «nie tun sollen». Aber sie hätten gehört, wie «Trump und alle seine Buddies» am Fernsehen immer wieder Chloroquin angepriesen hätten. Es sei «sicher» und «im Grunde genommen ein Heilmittel». Da habe sich Gary erinnert, dass sich dieses Chloroquin auch in ihrem Teichreiniger befinde. Gefragt von einem NBC-News-Reporter, ob sie ihren Landsleuten noch etwas mitteilen wolle, antwortete Wanda: «Glaubt kein Wort von dem, was der Präsident und seine Leute sagen.»

Tatsächlich hatte Trump an einem seiner täglichen Corona-Krise-Briefings mitgeteilt, es bestehe eine reale Chance, bald über ein wirksames Medikament zu verfügen. Neue Studien und einzelne Erfahrungen hätten gezeigt, dass das Malariamittel «Chloroquin in Kombination mit der Substanz Z-Pak» (Azithromycin) zum game changer im Kampf gegen das Virus werden könnte. Trump machte Hoffnung – eine Hoffnung, die kurz darauf von den Pharmariesen Bayer und Novartis bestätigt wurde –, aber er sagte nirgends, man solle Fischteichreiniger trinken. Wanda und Gary waren denn auch die einzigen von 330 Millionen Amerikanern, die auf eine solche Idee kamen.

Dies hinderte die Trump-hassenden Medien, die immer noch von seiner Amtsenthebung träumen, nicht daran, diesen indirekt des Giftmordes zu bezichtigen. Von der New York Times über die Sender ABC, NBC, CNN bis hinunter in die geistigen Niederungen europäischer Amerika-Berichterstattung wurde die Story von der unterbelichteten Trump-Anhängerin kolportiert, die von ihrem dumm-gefährlichen Idol grausam enttäuscht wurde. «US-Präsident warb für angebliches Corona-Heilmittel. Mann stirbt wegen Trumps ‹Gottesgeschenk›, plapperte etwa der Blick die Geschichte nach.

Dann recherchierte eine Reporterin des Washington Free Beacon und fand heraus, dass Garys Witwe Wanda keine Trump-Anhängerin war, sondern eine Demokratin, die der demokratischen Partei in den vergangenen Jahren mehrere tausend Dollar gespendet hatte. Die letzte Spende ging Ende Februar an das demokratische Aktionskomitee 314, eine pro-science resistance -Bewegung, die sich durch scharfe Kritik an Trumps Coronavirus-Politik auszeichnet. Diese Information interessierte die journalistisch längst ehrlos gewordenen Mainstream-Medien allerdings nicht mehr. Ebensowenig wie jene Gerichtsakten, aus denen hervorgehen soll, dass Wanda wegen Paranoia und Depressionen in Behandlung gewesen sei und mit Ehemann Gary eine schwierige Beziehung geführt haben soll.

Umso intensiver wurde der Fall der fatalen Selbstmedikation in den sozialen Medien kommentiert und analysiert. Wie glaubwürdig ist Wandas Erzählung? Für viele der Diskutanten auf Twitter war die Sache schnell klar: «Was für eine Idiotin.» – «Vielleicht eine Mörderin und keine Idiotin.» – «Bingo, sie tötete ihren Ehemann.» – «Ein Fisch namens Wanda.» – «Lustig!» – «Es hat alle Kennzeichen eines Mordes. Frauen bevorzugen Gift als Mordwaffe.» – «Sie plante und führte das perfekte Verbrechen aus, indem sie die Pandemie ausnützte und Dummheit als Entschuldigung vorschob.»

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, lehrt eine alte Redensart, die Wanda eben am eigenen Leib erfahren musste. Im Gegensatz zur unbarmherzigen Twitter-Justiz gilt hier jedoch das Prinzip der Unschuldsvermutung. Wir glauben Wanda, dass sie den Tod von Gary nicht beabsichtigte. Sie fällte einen grotesken, einen schlimmen Entscheid. Panik macht dumm.

Aber warum brachte Wanda Präsident Trump ins Spiel? Die 61-Jährige fühlte sich schuldig, schämte sich zutiefst und war verzweifelt. Sie ertrug den Blick in den Spiegel nicht. Indem sie ihre Verantwortung und ihre Dummheit auf jemand anderen, also auf Trump, abwälzte und sich als Opfer darstellte, verschaffte sie sich kurzzeitig ein wenig moralische Entlastung. Das war unehrlich und durchsichtig und nicht gerade heldenhaft, aber menschlich nachvollziehbar. Ungleich verwerflicher war dagegen das zynische Vorgehen jener Medien, die eine private Tragödie dazu benutzten, einen politischen Gegner in die Nähe eines Mordes zu rücken und moralisch zu kriminalisieren.

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