Die Weltwoche

07.08.2003

Fürst der Finsternis

Von Eugen Sorg

Die Uno fordert seinen Rücktritt, Rebellen beschiessen die Hauptstadt. Nun will Liberias skrupelloser Präsident Charles Taylor abtreten. Doch der intelligente Taktiker hat schon manche Krise überlebt. Ist er wirklich am Ende?

Der Taxifahrer glitt in seinem Wagen über eine breite Strasse in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, als er plötzlich das Steuer herumriss und mit quietschenden Reifen das Gefährt auf den Gehsteig setzte. Er senkte den Kopf und stierte stumm vor sich hin, wie die anderen einheimischen Fahrgäste, die eben noch fröhlich geplaudert hatten. Ich schaute aus dem Fenster. Hatte er ein Kind überfahren oder gar einen Polizisten? Die Strasse war leer gefegt, alle anderen Autos hatten sich ebenso an die Seiten verdrückt, und das Gewusel der Fussgänger und Marktfrauen entlang der Strasse war zu einem gespenstischen Standbild erstarrt. Keiner bewegte sich mehr. Als wären sie von einem bösen Fluch verhext. Dann bemerkte ich den Grund.

Mit heulenden Sirenen brauste eine Fahrzeugkolonne heran, Geländewagen mit verdunkelten Scheiben, Toyota Pick-ups, voll gepackt mit schwer bewaffneten Kämpfern, schwarze Limousinen, noch mehr Pick-ups, vielleicht vierzig Fahrzeuge. Wie ein Todessturm raste der Konvoi daher, alle Bewegung, alles Leben ringsum versteinerte kurzzeitig in Angst, und kaum war der Spuk vorbei, lösten sich die Leute wieder aus der Starre, begannen zu schwatzen, gingen weiter, als wären sie nur kurz aus der Zeit gefallen. Was war das?, fragte ich die anderen. Das war er, antwortete der Fahrer, während er den Motor wieder startete, er, der Präsident.

Im Anzug zu den Vorlesungen

Charles Taylor, Noch-Präsident Liberias, der von freigekauften Sklaven, den so genannten Congos oder Americo-Liberianern, vor 156 Jahren gegründeten Republik, war 1997 mit überwältigender Mehrheit zum Staatsoberhaupt gewählt worden. Die Wahlen waren ohne nennenswerte Betrügereien verlaufen, die Leute entschieden sich für Taylor, weil er im Unterschied zu den anderen, den international geachteten und gut beleumundeten Kandidaten ein skrupelloser Kriegsfürst war. Sie wussten, dass er eine Nichtwahl nicht akzeptiert hätte und in Liberia das seit sieben Jahren anhaltende gegenseitige Abschlachten weitergegangen wäre. Besser, nur ein Teufel im Land als mehrere, die sich um die Beute streiten. Seit da herrscht der mittlerweile 55-Jährige wie ein Gangsterbaron über das westafrikanische Liberia, über Taylorland, die Aussenprovinz der Hölle.

Taylor ist ein Mann mit vielen Talenten, modern und archaisch zugleich, das Urbild eines Eroberers und rücksichtslosen Abenteurers, dessen Leben die Vorlage für einen zeitgenössischen Bildungsroman oder einen grossen Film über Macht abgeben würde.

Das «Ungeheuer», wie neulich die Süddeutsche Zeitung den Präsidenten bezeichnete, wurde am 28. Januar 1948 in Monrovia als Charles McArthur Taylor geboren, Sohn eines americo-liberianischen Anwalts und einer Einheimischen aus dem Stamme der Gola. 1972 zog er nach Boston an der amerikanischen Ostküste, um fünf Jahre später am angesehenen Bentley College seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften zu machen. Die Professoren und Studienkollegen erinnern sich an ihn als einen selbstbewussten, eleganten und charismatischen Studenten, der pünktlich und immer im Anzug zu den Vorlesungen erschien, mit Strohhut durch die gepflegten Weissenviertel schlenderte und bald die führende Figur unter seinen 35000 exilierten Landsleuten wurde.

Als Vorsitzender der Union Liberianischer Studenten in Amerika agitierte er gegen den hochkorrupten Landesvater Tolbert. 1979, anlässlich eines Staatsbesuchs Tolberts in den USA, organisierte Taylor eine Demonstration. Eine wütende Menge versammelte sich vor der liberianischen Botschaft in New York. Um die Lage zu beruhigen, bat Tolbert Taylor ins Botschaftsgebäude. Drinnen kam es zu einer kurzen, aber dramatischen Begegnung. Der alternde Autokrat schimpfte den ungehörigen Jungbürger aus und drohte ihm mit Sanktionen. Dieser schrie unbeeindruckt zurück. Die anwesenden Botschaftsangestellten erstarrten vor Schreck. Noch nie zuvor hatte es ein Untergebener gewagt, so mit einem Präsidenten zu sprechen. Dies war ein Akt der Rebellion, ein Tabubruch, das Ende einer Epoche.

Taylor muss instinktiv realisiert haben, dass er stärker war als Tolbert. Dieser wiederum witterte sofort, dass ihm ein gefährlicher Gegner erwachsen war. Er wechselte die Taktik und bot Taylor einen lukrativen Posten in der Regierung an. Taylor griff zu und landete am 18. Februar 1980 auf dem Flughafen von Monrovia, wo ein Dienstwagen und ein grosszügiges Spesenbudget auf ihn warteten. Vier Wochen später trat wieder eine völlig neue Situation ein.

In der Nacht vom 12. April drang eine Gruppe junger Unteroffiziere in den Regierungspalast ein. Die angetrunkenen Uniformierten verstümmelten den kränkelnden Tolbert mit Buschmessern und vergewaltigten dessen Frau. Anschliessend kurvte der ranghöchste der Putschisten, der 28-jährige Feldwebel Samuel K. Doe, in seinem VW Käfer durch die Stadt und liess sich als neuer Präsident feiern. Nach 133-jähriger Herrschaft der Clique der Americo-Liberianer war Doe, ein Angehöriger der Krahn, der erste einheimische Staatschef.

Lumpenmiliz und Grigri-Priester

Als erste Amtshandlung beförderte sich Doe zum General, dann machte er Jagd auf die Minister und Kabinettsangehörigen, in der Regel Congos, liess sie an Schubkarren fesseln und am Strand von Monrovia öffentlich erschiessen. Auch Taylor wurde aufgestöbert und in einer Armeebaracke Doe vorgeführt. Wieder erfasste er blitzschnell die Situation. Über Nacht war Doe und seinen Schiesskumpanen ein Staat in die Hände gefallen, und sie wussten nicht, wie man so etwas lenkt. Sie kannten nur ihre armseligen Hütten und schäbige Militärkasernen, und sie konnten kaum lesen und schreiben. Sie waren nervös, Taylor konnte es förmlich riechen.

«Ihr habt einen Putsch durchgeführt», übernahm er kaltblütig die Initiative, «aber habt ihr auch die Grenzen gesichert?» Fünf-Sterne-General Doe zuckte zusammen wie ein säumiger Wachsoldat, und Taylor wusste im selben Moment, dass sein Leben gerettet war. Die Grenzen waren nicht gesichert, und Taylor, der Ökonom, Tennisspieler und Zivilist, zog mit der Armee los, um persönlich die Schliessung der Grenzen zu organisieren. Und weil Doe glaubte, Taylor habe so das Land vor einer Invasion gerettet, beschenkte er ihn mit einem einträglichen Amt: Chef der für Regierungsaufträge verantwortlichen Behörde für Allgemeine Dienste, unter Insidern als Kickback-Behörde bekannt.

Doe war ein sprunghafter Regent. Einmal bestellte er den Finanzminister zu sich. «Aber, Herr Präsident», sagte schüchtern sein Sekretär, «Sie haben den Finanzminister doch letzte Woche erschiessen lassen.» Doe hatte es vergessen. Er hatte viele getötet, fürchtete überall Rachekomplotte und musste laufend neue Verschwörer töten. Weil er niemandem mehr trauen konnte, umgab er sich mit Getreuen des eigenen Dschungelstammes und den mächtigsten Fetischpriestern seines Dorfes. Er war auch eifersüchtig. Wenn er etwas länger auf einen der Anzüge des eleganten Taylor schaute, dann beeilte sich dieser, dass Doe dasselbe Kleid bekam.

Es zeugt von Taylors Geschick, dass er sich als einer der wenigen Americo-Liberianer längere Zeit in leitender Position halten konnte. Does chronisches Misstrauen traf ihn erst drei Jahre später. Dieser hatte eine Ermittlung gegen Taylor wegen Veruntreuung von rund einer Million Dollar Staatsgeldern angeordnet, und als Taylor davon Wind bekam, wartete er das Ergebnis nicht ab, sondern floh unverzüglich in die USA. Doe liess seine Juristen einen internationalen Haftbefehl ausstellen, worauf Taylor vom FBI festgenommen und in Plymouth, Massachusetts, ins Gefängnis gesteckt wurde. Um seine Auslieferung zu verhindern – sie hätte seinen Tod bedeutet -, deklarierte er sich als politischer Gefangener und engagierte den berühmten Bürgerrechtler-Anwalt Ramsey Clark. Erneut überliess er die Entscheidung nicht anderen. Am 15. September 1985, nach über einem Jahr Gefangenschaft, kroch er mit fünf Mithäftlingen durch ein aufgesägtes Gitterfenster, liess sich an zusammengeknüpften Leintüchern die Gefängnismauer herunter und verschwand in einem wartenden Auto.

Vier Jahre später, am Weihnachtsabend 1989, tauchte er wieder auf. Als Anführer einer Kämpfertruppe von 150 Mann fiel er von Côte d’Ivoire in Liberia ein. Er war in Westafrika herumgeirrlichtert, hatte in Libyen und Burkina Faso Waffen und Geld organisiert und eine Guerillaorganisation gegründet. Und er hatte seine Bestimmung gefunden. Er wollte Doe töten und die Macht in Liberia übernehmen. Dies war sein ganzes politisches Programm, sein nüchternes Glaubensbekenntnis, und diesem Ziel ordnete er jede Handlung unter.

Does Regime war in Auflösung begriffen. Er schickte seine Armee gegen Taylor los, aber die Soldaten beschränkten sich darauf, die Dörfer am Weg auszuplündern. Taylor drang rasch vor, seine Truppe wuchs rasant. Überläufer, verängstigte Dörfler, Jugendliche, Kinder schlossen sich ihm an. Es gab zu essen, ein Gewehr, Aussicht auf Beute. Bereits nach acht Monaten stand Taylor am Stadtrand von Monrovia. Die Trophäe Doe aber holte sich ein anderer: Prince Johnson, ein ehemaliger Verbündeter Taylors. Zum Beweis, dass er der Sieger war, liess sich Johnson bei der neunstündigen Folterung des gefangenen Doe filmen und sorgte dafür, dass das Video unter die Leute kam.

Mittlerweile waren alle Ausländer evakuiert, die staatlichen Strukturen hatten sich pulverisiert, und das Land lag schutzlos da. Wie eine Blutpest breitete sich der Krieg aus. Bis zu sieben Grossfraktionen kämpften zur gleichen Zeit, und wer ein paar Kalaschnikows ergattern konnte, gründete ein eigene Bande. Es bildete sich schnell eine Kultur der Grausamkeit heraus, welche von keinerlei strategischen Überlegungen geleitet war. Die plündernden und marodierenden Lumpenmilizen bestanden zur Mehrzahl aus Kindern und Jugendlichen, verrohten, drogensüchtigen Killern, welche unter Anleitung von Grigri-Priestern die Lebern und Herzen ihrer Gegner assen und welche sich die gerösteten Genitalien, die sie ihren lebenden Opfern aus dem Leib geschnitten hatten, als Amulette um den Hals banden.

Taylor ist ein kultivierter Mann und unterstützte die kannibalistischen Praktiken seiner Halbwüchsigenverbände nicht. Aber er unterband sie auch nicht. Sie waren ihm gleichgültig, solange man für ihn kämpfte. Er war nicht schlimmer als seine Rivalen, als Prince Johnson, Roosevelt Johnson, Alhaji Kromah, George Boley etc., oder als sein aktueller Gegner von der Liberians United for Reconciliation and Democracy (LURD). Alle rekrutierten sie Kinder und sind verantwortlich für Scheusslichkeiten. Und alle unterschrieben sie Friedensabkommen und Waffenstillstandsverträge, die sie brachen, bevor die Tinte trocken war. Aber Taylor war schlauer als sie, er konnte sie aus dem Feld schlagen. Und er überstand die Intervention der Ecomog, der Friedenstruppen der Nachbarstaaten. Diese waren in Wirklichkeit ein aussenpolitisches Instrument des damaligen nigerianischen Diktators Babangida, welcher Taylor eliminieren und Doe-freundliche Kräfte zurück in den Präsidentenpalast hieven wollte.

Den Wahlsieg von 1997 benützte Taylor, um noch nachhaltiger zu betreiben, was er schon vorher getan hatte: seine Macht zu vergrössern. Er schickte fast die gesamte Armee in den Ruhestand, während er gleichzeitig eine Reihe ihm persönlich ergebener Geheimdienste und grimmiger Eliteeinheiten schuf. Er liess potenzielle Gegner zusammenschlagen oder einfach verschwinden. Wie ein mittelalterlicher Fürst verlieh er Gebiete und Rechte an Kriegskumpane wie zum Beispiel Kuku Dennis alias General Death, der mit seiner Privatmiliz den Tropenholzschlag in Nimba County kontrolliert. Und bis vor kurzem funktionierte eine eingespielte Arbeitsteilung: Die internationale Helfergemeinschaft – Europäische Union, kirchliche Hilfswerke, Scharen von NGOs – fütterte brav das verarmte Volk durch, flickte die Infrastruktur, baute Brunnen, Schulen, Spitäler, während sich der Präsident mit Hilfe seiner libanesischen Berater um die Absicherung seines Lebensstils und die Mehrung seiner Reichtümer kümmerte.

Vielleicht wäre es noch lange so weitergegangen, wenn Taylor nicht die mörderischen Urwaldrebellen der Revolutionary United Front (RUF) im benachbarten Sierra Leone unterstützt hätte. Führer der RUF war Foday Sankoh, ein alter Freund Taylors. Seine Kämpfer waren berüchtigt dafür, Dorfbewohnern die Arme abzuhacken («kurzärmlig oder langärmlig?»). Foday lieferte Taylor Diamanten, dieser bezahlte mit Waffen und hielt so den Bürgerkrieg am Köcheln. Im Mai 2001 beschloss die Uno, die liberianischen «Blutdiamanten» mit einem Bann zu belegen, und sprach ein Reiseverbot für Taylor und seine Regierung aus. Es folgte eine Anklage des UN-Sondergerichts für Sierra Leone wegen Kriegsverbrechen – dasselbe Gericht, vor dem sich auch Sankoh hätte verantworten müssen, wenn er nicht vor kurzem, am 29. Juli, gestorben wäre. Und in derselben Zeit rückten die LURD-Rebellen, die von Guinea aus operieren, welches wiederum diskret von den USA unterstützt wird, bis auf Monrovia vor. Im Westen ist man entschlossen, der Ära Taylor ein Ende zu bereiten.

Dies weiss Taylor, und er spielt um Zeit. Er werde am 11. August zurücktreten, pokerte er, falls die Anklage wegen Kriegsverbrechen fallen gelassen werde. Er hat das Dschungelgemetzel, die Schlachten um Monrovia und die Thronfolgerkämpfe ohne einen Kratzer überstanden. Er hat aus scheinbar hoffnungslosen Situationen immer einen Ausweg gefunden. Solange er lebt, ist mit ihm zu rechnen.

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