Basler Zeitung

14.08.2013

Im Gespräch: James Joseph «Whitey» Bulger

Gangster-Ikone

Von Eugen Sorg

An einem goldenen Juniabend 2011 stürmten FBI-Agenten ein Apartmenthaus im kalifornischen Santa Monica. Sie verhafteten den 81-jährigen Mieter James «Whitey» Bulger und dessen Gefährtin Catherine Graig. Hinter einer Tapete fanden die Beamten falsche Pässe, ein Vermögen von über 800 000 Dollar und ein Waffenarsenal, gross genug, um eine Kleinstadt auszulöschen. Eine epische Jagd war an ihr Ende gekommen.

16 Jahre lang waren die Agenten hinter dem Bostoner Mafia-Paten wegen zahlreicher Morde, Erpressung, Raub, Geldwäsche, Drogenhandel und weiterer Verbrechen her gewesen. Auf seine Ergreifung waren zwei Millionen Dollar ausgesetzt. Bulger war in London gesehen worden, in Kanada, in Uruguay, in Sizilien. 2005 raubte ein älterer Mann, der Bulger geglichen haben soll, in Orange County eine Bank aus. Aber erst als das FBI die Suche auf «Whiteys» Gefährtin Graig konzentrierte, hatte es Erfolg. Graig, frühere Zahnarztgehilfin, besuchte häufig Schönheitssalons. Ihre Beschreibung und ein sattes Kopfgeld wurden in beliebten TV-Shows für Damen älteren Semesters geschaltet, und bald kam der entscheidende Tipp, der zur Verhaftung führte.

Bulger war längst zur Gangster-Ikone geworden, dessen filmreifes Leben Autoren aller Genres inspirierte. Bulgers früherer Mobster-Kompagnon Kevin Weeks schrieb den Roman «Brutal», der sich eng an den realen Geschehnissen orientierte. Der Roman diente Martin Scorsese, cineastischer Chronist amerikanischer Gewaltobsessionen, als Vorlage für das Drehbuch von «Departed» (2006) mit Jack Nicholson und Leonardo DiCaprio. Bulger soll den Film auf seiner Flucht in einem Kino in San Diego angeschaut haben.

Geboren 1929 als Sohn eines irischen Hafenarbeiters wuchs «Whitey», wie er wegen seiner hellblonden Haare genannt wurde, in einer Sozialsiedlung in Südboston auf. Nach dem Militärdienst bei der Air Force schloss er sich der berüchtigten Winter Hill Gang an und vollendete seine Gangster-Ausbildung im Gefängnis, unter anderem in Alcatraz. Er war intelligent, las viel, war ehrgeizig und skrupellos. Als er 1974 mit seinem Kumpel Stephen «Rifleman» Flemmi die Führung der Winter Hill Gang übernahm, fällte er einen strategischen Entscheid. Sie würden nicht mehr selber Drogen verkaufen, Schutzgelder erpressen, Zockerclubs betreiben, sondern nur noch Steuern bei anderen Gangs einkassieren, die diese Geschäfte unterhielten. «Whitey» verdankte seine Stellung als König von Bostons Unterwelt nicht nur gerissener Brutalität und unverschämtem Glück – er gewann 1991 im Lotto 14,3 Millionen Dollar –, sondern auch der Tätigkeit als Spitzel des FBI. Dort arbeitete John Connolly, ebenfalls irischstämmiger Jugendfreund aus der Sozialsiedlung. Dieser warnte ihn 1995 vor einer bevorstehenden Verhaftung – Bulger tauchte ab.

Dieser Tage wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Bulger ist in das Legendenbuch der US-Popkultur eingegangen. Er ist aber auch Beweis für menschliche Willensfreiheit. Sein jüngerer Bruder Billy, aufgewachsen in denselben ärmlichen Verhältnissen, wählte einen anderen Lebensentwurf. Er wurde angesehener Senatspräsident und Präsident der Universität von Massachusetts.

Killerboss. James «Whitey» Bulger, 83, in jungen Jahren und als gealterter Verbrecher. Fotos Keystone

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