Basler Zeitung

10.07.2013

Sakraler Populismus

Von Eugen Sorg

Es war die erste Pastoralreise des neuen Papstes Franziskus, und sie war wie alles, was der argentinische Jesuit Jorge Bergoglio tut, bis ins kleinste Detail durchgeplant und inszeniert. Reiseziel, Verlautbarungen, jede noch so minimale Geste gehorchten einer professionellen Regie, darauf angelegt, den päpstlichen Ausflug mit sakraler Symbolik und Weihe aufzuladen. Am Montagmorgen traf der Pontifex mit einem kleinen Gefolge im Hafen Punta Favaloro auf der Insel Lampedusa ein, jener Insel südlich von Sizilien, die aufgrund ihrer geringen Distanz zur nordafrikanischen Küste zum Ziel von Tausenden von Armutsmigranten geworden ist. Er übergab einen Gerberakranz dem Meer, Gelb-Weiss, die Farben des Vatikans, im Gedenken an jene, die auf der Überfahrt nach Europa mit ihren überfüllten Booten in den Fluten untergegangen oder verdurstet waren.

Er sei nach Lampedusa gekommen, teilte Franziskus mit, um «ein Zeichen der Nähe zu setzen und unser Gewissen zu wecken». Für die Messe auf dem Sportplatz stieg er auf ein einfaches Fischerboot in den italienischen Landesfarben. Kanzel, Messbecher, Kreuz und Hirtenstab waren gefertigt aus Treibholz gekenterter Barkassen. 10 000 Menschen nahmen am Gottesdienst teil, Insulaner, Touristen, ein stattlicher Tross Journalisten und auch 166 Migranten aus Libyen, die zwei Stunden zuvor heil in Lampedusa vor Anker gegangen waren. Der weiss gewandte Franziskus massierte den Anwesenden die Seelen und das schlechte Gewissen, beklagte die «Globalisierung der Gleichgültigkeit» und zitierte Gott: «Kain, wo ist dein Bruder Abel?» Alle fühlten sich ein wenig schuldig, aber doch nicht allzu sehr, denn «so sündig wir alle sind, auch ich», wie Franziskus festhielt, so waren andere doch noch ein wenig sündiger als man selber. Nämlich jene, so der Pontifex, die in «der Anonymität Entscheidungen sozialer und wirtschaftlicher Art treffen, die den Weg zu Dramen wie in Lampedusa ebnen.»

Als er zum Schluss der Predigt noch ein Baby küsste, jedem einzelnen der 166 Neuangekommenen und verdutzten Migranten die Hand schüttelte, sie willkommen hiess und ihnen einen gesegneten Fastenmonat Ramadan wünschte (die allermeisten waren Muslime), hatte er die Journalisten für sich gewonnen. «Ein Papst der Armen», schwärmten sie, «Gesten gegen die Gleichgültigkeit», «Wichtiges Symbol», «Starkes Zeichen». «Für die Politiker in Italien ist das ein Warnschuss», fantasierte der sichtlich gerührte Korrespondent von SRF stellvertretend für seine Kollegen der Zunft, «weil ihnen damit klar wird, dass das Thema Flüchtlingspolitik zur Chefsache im Vatikan wird.»

Als ob eine Papstmesse die Politiker in Rom beeindrucken könnte, als ob Italien schuld wäre an der wirtschaftlichen Misere afrikanischer Länder und als ob es sich bei den Afrikanern von Lampedusa um Kriegsflüchtlinge und nicht um Wirtschaftsmigranten handeln würde. Franziskus’ Auftritt war eine vatikanische PR-Veranstaltung, ein brillantes aber verantwortungsloses Illusionstheater. Den Einwanderern gaukelt es vor, es gäbe genügend Arbeit in Europa und spurt so weitere Bootsdramen auf dem Mittelmeer vor. Und es zieht den Blick ab von den Haupt­verantwortlichen der afrikanischen Armut, den korrupten und skrupellosen einheimischen Eliten. Auch darf man sich fragen, warum er sich nicht eine andere Destination für seine erste Tour gewählt hat. Warum nicht Syrien, Ägypten, Nigeria, Sudan? Dort werden christliche Minderheiten tatsächlich verfolgt und sind an Leib und Leben bedroht. Die Messe von Lampedusa ist sakraler Populismus, Elton Johns «Candles in the Wind» für Flüchtlingsaktivisten, heiliger Kitsch, der wohlige Schauer erzeugt und ablenkt von den unangenehmen Realitäten.

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