Basler Zeitung

30.09.2011

Gekränkte Terroristen

Al Qaida rüffelt den iranischen Präsidenten als Verschwörungstheoretiker

Von Eugen Sorg

Was haben der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad und eine stattliche Anzahl Schweizer Politiker und Akademiker gemeinsam? Was verbindet das wundergläubige, messianische Oberhaupt eines mittelalterlichen Staates, der archaisch-blutigen Strafpraktiken huldigt, mit gewissen Repräsentanten einer modernen Demokratie und Absolventen aufgeklärter Wissensanstalten? Mehr als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Vor Kurzem beschuldigte Ahmadinejad in einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen die USA, «den grossen Satan», die Anschläge vom elften September 2001 selber inszeniert zu haben als Vorwand, um in Afghanistan und den Irak einmarschieren zu können. Und er rief dazu auf, dass endlich eine Untersuchung den «verborgenen Elementen dieser mysteriösen Ereignisse» auf den Grund gehen sollte. Es war nicht das erste Mal, dass der Iraner diese Unterstellungen formulierte, genau so, wie er schon mehrmals den Holocaust als Erfindung der Juden bezeichnet hatte.

Ungeheuerlicher Verdacht

«9/11 untersuchen» fordert auch eine Gruppe um den an der Universität Basel dozierenden Historiker und «Friedensforscher» Daniele Ganser, den ungeheuerlichen Verdacht insinuierend, dass die amerikanische Regierung den Massenmord an 3000 eigenen Bürgern begangen habe.

Zu den «Wahrheitssuchern» gehören Sozialisten wie die Nationalrätin und Mathematikerin Hildegard Fässler; Grüne wie Daniel Vischer, Daig-Abkömmling, Nationalrat, und Advokat; oder Geri Müller, Nationalrat und Mitglied ausgerechnet der sicherheitspolitischen Kommission; Albert A. Stahel, Strategiedozent und bis vor Kurzem SVP-Lokalpolitiker; Klaus J. Stöhlker, prominenter PR- und Kommunikationshooligan; Roland Jeanneret, Journalismusdozent und Geldsammler der Glückskette. Aber auch der stramme SVP-Aktivist Anian Liebrand, Eigenwerbung: «Der unbestechliche Jungpolitiker aus Beromünster», der in Luzern ein Podium veranstaltete, «9/11 – Was geschah wirklich?», und grossmäulig versprach, dass erstmals öffentlich über die «zahllosen Ungereimtheiten» referiert würde, von hochkarätigen Experten wie dem fromm-katholischen CVP-Nationalrat und ehemaligen Kommandanten der päpstlichen Schweizergarde Pius Segmüller oder wie der Blocherapostelin und SVP-Nationalrätin Yvette Estermann.

Kampf um die Gunst der Muslime

Nun kam Kritik an diesen Positionen. Harte Kritik von berufener Seite. Das englischsprachige Online-Magazin «Inspire», Verlautbarungsorgan von Al Qaida, reagierte vor wenigen Tagen gekränkt auf Ahmadinejads Behauptung, die US-Regierung stecke hinter den 9/11-Anschlägen, und bezeichnete sie als «lächerlich» und als Verhöhnung aller «Logik und Beweise».

Und warum habe Ahmadinejad solchen Unsinn in die Welt gesetzt, fragt der Autor, um gleich selber zu antworten: «Für die Iraner ist Al Qaida ein Konkurrent im Kampf um die Gunst der entrechteten Muslime in der ganzen Welt. Al Qaida hatte Erfolg, im Gegensatz zum Iran. Daher war es notwendig für die Iraner, 9/11 abzuwerten. Und wie stellten sie dies an? Mit Hilfe von Verschwörungstheorien.»

Die Schiiten der Teheraner Regierung werden sich durch dieses Bekenntnis nicht zu einer Berichtigung hinreissen lassen und den Terror-Sunniten den Propaganda-Triumph gönnen, auf spektakuläre Weise «den grossen Satan» empfindlich getroffen zu haben. Zu alt und zu tief ist die Feindschaft der beiden islamischen Hauptströmungen.

Aber auch die hiesigen «Wahrheitssucher» werden sich von den al-Kaida-Enthüllungen kaum beeindrucken lassen. Verschwörungsfantasien sind unabhängig von politischen Überzeugungen und dem Intelligenzquotienten. Sie wurzeln wie esoterische Erleuchtungen in vorrational transpirierenden Bedürfnissen und Seelenzuständen. Sie sind, wie der Al-Qaida-Autor richtig moniert hat, immun gegen Logik und Beweise.

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