Basler Zeitung

18.10.2016

Gute Chancen für eine Rückeroberung Mossuls

Der Islamische Staat wird die Schlacht um die Stadt verlieren, das Kalifat verliert den Nimbus der Unbesiegbarkeit

Von Eugen Sorg

Am gestrigen Montagmorgen hat der Ministerpräsident des Irak, der Schiit Haider al-Abadi, mit feierlichen Worten den Beginn der Offensive auf Mossul verkündet. Die Millionenstadt im ­Nord­irak war vor über zwei Jahren praktisch ohne Gegenwehr der irakischen Sicherheitskräfte in die Hände der sunnitischen Terrormiliz des Islamischen ­Staates (IS) gefallen.

Nun soll die demütigende Schmach wieder wettgemacht werden, und die Chancen für eine Rückeroberung stehen gut. Seit Monaten haben die Regierungstruppen mithilfe von schiitischen Milizen, kurdischen Peschmerga, iranischen Beratern und amerikanischer Luftunterstützung den Ring um Mossul systematisch enger gezogen, bis schliesslich alle Verbindungsstrassen und Nachschubwege gekappt und die Stadt mitsamt Einwohnern und Terrorjihadisten eingekesselt war.

Rund 30 000 Krieger unter dem formalen Kommando Bagdads und mit dem tödlichen Support der amerikanischen Luftwaffe stehen 3000 bis 5000 (man kennt keine genauen Zahlen) IS-Fightern gegenüber, die sich in Schulen, Spitälern, Moscheen verschanzen, um aus Propagandagründen möglichst viele zivile Opfer zu produzieren.

IS-Kader sollen abgezogen sein

Wie lange die Schlacht um Mossul andauern und wie blutig sie sein wird, weiss niemand. Werden die schwarz berockten Menschenmetzger des IS bis zum letzten Blutstropfen kämpfen wie in Manbij oder in Ramadi? Oder werden sie sich wie in Falluja aus Teilen der Stadt zurückziehen, um im Strom der Flüchtlinge unterzutauchen und an­derswo weiterzukämpfen?

Es gibt Gerüchte, dass sich hohe IS-Kader und die besten nicht-arabischen Gotteskrieger schon länger nach Syrien abgesetzt haben, weil sie Mossul als nicht mehr haltbar erachten.

Hinrichtung mit der Kettensäge

Und wie wird sich die Bevölkerung verhalten? Viele Sunniten hatten damals den Einmarsch des IS begrüsst und sie hatten sich nicht gewehrt, als ihre schiitischen, jesidischen, christlichen Mitbürger abgeführt, enteignet, erschlagen und versklavt wurden. Werden sie die IS-Schergen decken oder verraten?

Hinweise auf vereinzelten Unmut gegenüber der religiösen Terrorpolitik und Panik innerhalb des IS gab es. Im August sollen neun junge Männer wegen Aufruf zum Ungehorsam gegen das Regime mit einer Kettensäge öffentlich halbiert worden sein. Sie hätten das Wort «M» (arabische Abkürzung für Widerstand) auf Mauern gesprayt. Und vor Kurzem seien 58 Männer ertränkt und danach in einem Massengrab ausserhalb der Stadt verscharrt worden. Sie hätten die Stadt kampflos der Regierung überlassen wollen. Unter den «Verrätern» sei sogar ein Vertrauter des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi gewesen.

Schützengräben und Sprengfallen

Keiner kann die Ereignisse der folgenden Tage und Wochen voraussagen. Der IS hat in Mossul seit Monaten an einem Abwehrdispositiv gebaut. Er hat Schützengräben und Tunnelsysteme für seine Kämpfer gegraben, Brücken, Strassen, Gebäude mit heimtückischen Sprengfallen gespickt und Berge mit Autoreifen aufgetürmt, die, in Brand gesetzt, dichten schwarzen Rauch aufsteigen lassen und den feindlichen Jets und Kampfhelikoptern die Sicht verunmöglichen.

Doch wie viele Tote die Schlacht auch fordern wird, gewiss ist nur, dass der IS, eingeschnürt und ohne Ausweichmöglichkeit, sie verlieren wird. Und fällt Mossul, dann bedeutet dies auch das Ende des IS im Irak.

Das ist militärisch, aber vor allem auch psychologisch bedeutsam. Ein ­verprügeltes und davongejagtes Kalifat verliert den Nimbus der Unbesiegbarkeit und damit die Attraktivität für junge muslimische Jihad-Aspiranten aus aller Welt.

Damit bräche nicht der ewige Friede aus. Aber ein kleines Problem wäre gelöst. Immerhin.

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