Das Magazin

14.10.2000

Keine Kapitulation

Seit drei Jahrzehnten steht Andrea Dworkin im Krieg. Für die Frauen. Gegen die Männer. Die Devise der Radikalfeministin: Kein Schritt zurück, zwei Schritte vorwärts. Obwohl sie mittlerweile fast alleine dasteht.

«Ich bin Feministin. Allerdings nicht eine von der lustigen Sorte.»

Von Eugen Sorgund Vera Hartmann (Bilder)

«Warum, Frau Dworkin, warum gingen Sie weder zur Polizei noch ins Spital, nachdem Sie vergewaltigt worden waren?»

Andrea Dworkin, 54-jährige Schriftstellerin und Amerikas radikalste Feministin, sitzt auf einem Stuhl in der Küche ihres Brooklyner Backsteinhauses und atmet schwer. Sie wirkt angeschlagen. Bitte, scheinen ihre Augen zu sagen, bitte plagen Sie mich nicht auch noch. Mit ihrer kolossalen Körpermasse, dem aufgedunsenen Gesicht und den wirren grauen Haaren erinnert sie an einen traurigen, obdachlosen Sumoringer.

«Es ist sehr, sehr schwer für mich», sagt sie schliesslich mit leiser Stimme, «weiterzuleben, nach alldem, was geschehen ist.» Und dann, beinahe tonlos: «Ich werde Ihnen darauf nicht antworten, ich bin nicht bereit dazu.» In diesem Moment springt eine der beiden Katzen auf ihren Schoss und reibt sich schnurrend an ihrem Körper. Als wolle sie die Frau trösten. «Gute Katze», flüstert sie, «Schmeichelkatze, hast wohl bloss Hunger», und streichelt verloren das Fell des Tieres.

Am 5. Juni dieses Jahres veröffentlichte die englische Zeitung «New Statesman» einen Text von Andrea Dworkin. Vor über einem Jahr, schrieb sie dort, nämlich am Donnerstag, dem 19. Mai 1999, sei sie im Zimmer eines Pariser Hotels ohnmächtig geworden, nachdem sie in der Hotelbar einen Kir royal getrunken habe. Einige Stunden später sei sie wieder aufgewacht und habe festgestellt, dass sie am rechten Bein blutete, an der linken Brust einen grossen Saugfleck und tief in der Vagina Schmerzen hatte.

Sie sei unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden, schloss sie daraus, und Letzteres sogar von zwei Männern. Vom Barkeeper nämlich und vom Zimmerjungen des Hotels. Der Erste habe in der Bar heftig mit ihr geflirtet, obwohl sie seine Avancen nicht erwidert habe, und habe die Droge in ihren Drink gemischt. Der Zweite habe das Essen aufs Zimmer gebracht und seinen Copain benachrichtigt, als sie das Bewusstsein verloren hatte. Darauf schilderte sie ausführlich, wie sich ihr Leben seit diesem Vorfall in einen einzigen Horror verwandelt habe. Sie sei bereit zu sterben, lautete der letzte Satz ihres Artikels. Und dann folgte der Hinweis, dass am 8. Juni, also in genau drei Tagen, Andrea Dworkins neues Buch «Scapegoat» (Sündenbock) erscheinen wird.

«Warum haben Sie über den Vorfall geschrieben?»

«Ich tat es für die anderen Frauen und für mich selbst.»

«Aber wenn Sie darüber schreiben, müssen Sie…»

«Nein, ich muss überhaupt nichts ausser schreiben.» Sie spricht mit einem Mal laut und bestimmt, als wäre sie jählings wach geworden.

«… dann müssen Sie mit Fragen rechnen.»

«Oh, das weiss ich.» Wieder ändert sich ihre Stimme. Sie klingt nun weich, melodiös, beinahe singend. «Aber dies gilt für jede Frau, die jemals von einer Vergewaltigung berichtet hat.» Dann hält sie inne, sucht nach den richtigen Worten und fährt langsam, in einem Ton voll Trauer, weiter. «Ich glaubte, genügend Zeugnis meiner Ehrenhaftigkeit und Glaubwürdigkeit abgelegt zu haben, dass ich nie lügen würde, wenn es um eine Vergewaltigung geht.»

«Das habe ich nicht gesagt.»

«Es ist nicht mein Job, Beweise zu liefern. Und ich werde es nicht einmal versuchen.» Wie ein Anwalt, der das Schlussplädoyer gehalten hat, greift sie nach dem Wasserglas und nimmt einen kräftigen Schluck.

Vergewaltigt? Oder nicht?

Der düstere Text enthielt etliche Ungereimtheiten. Wie zum Beispiel konnte der Zimmerjunge mit dem Essen ihren Raum betreten, obwohl ihn Dworkin nach eigener Aussage von innen her mit einem Bolzen abgeriegelt hatte? Warum spricht sie in einem Abschnitt von tiefen blutenden Wunden, im nächsten von Kratzern? Wie gelangte sie zu diesem Knutschfleck neben der Brustwarze, dessen detailliert beschriebenes Aussehen – riesig, blauschwarz, mit einem unversehrten Stück Haut im Zentrum – sämtlichen einschlägigen Erfahrungen widerspricht? ‹

Über solche Kleinigkeiten und andere hätte man hinwegsehen können. Sogar über den erstaunlichen Umstand, dass gleich zwei französische Garçons von der bizarren Lust gepackt worden waren, diesen älteren, bewusstlosen amerikanischen Gast im eigenen Hotel bei helllichtem Tage zu schänden. Möglich in dieser grossen Welt ist ja alles. Was aber die unziemlichen Zweifel an der Geschichte weckte, war eine andere verblüffende Aussage des Vergewaltigungsopfers. Sie habe, schrieb Dworkin, «buchstäblich keine Erinnerung an das, was der Mann und der Junge getan hatten». Woher wusste sie dann, dass die beiden oder sonst wer überhaupt etwas getan hatten? Und eben: Warum rief die Blutüberströmte keinen Arzt? Warum erstattete sie keine Anzeige? Warum nahm sie in Kauf, dass das ruchlose Franzosenduo weiterhin genüsslich weiblichen Hotelgästen auflauern würde, um diese zu betäuben und zu entehren?

«Verzeihen Sie, dass ich darauf zurückkomme. Aber ich verstehe noch immer nicht, wieso Sie keine Anzeige erstattet haben.»

«Ich hatte keine Beweise. Und ich kenne das Justizsystem. Die Polizei reagiert falsch auf Vergewaltigungen. Mir wäre der Prozess gemacht worden und nicht den Schuldigen.»

«Aber die Verletzungen: Wenigstens eine Ärztin hätten Sie rufen können.»

«Ich fühlte mich zu schrecklich, um mich an eine unbekannte Person zu wenden.»

«Was raten Sie einer Frau, der dasselbe zustösst wie Ihnen in Paris?»

«Ich weiss mehr über Vergewaltigung als die allermeisten Leute. Alle meine Bücher handeln davon. Doch ich empfinde, dass meine ganze Arbeit in diesem Zusammenhang wertlos geworden ist. Alles war umsonst. Im dritten Stock dieses Hauses befindet sich mein Büro. Ich kann kaum mehr dort hochgehen. Aber etwas weiss ich heute, das ich vor einem Jahr nicht wusste. Eine einfache Blut- und Urinprobe innerhalb 24 Stunden hätte die Drogen im Körper feststellen können. Diesen Test würde ich heute machen lassen.»

«Sie wussten wirklich nicht, dass man Drogen im Körper feststellen kann?»

«Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass Drogenvergewaltigungen bei jungen Frauen vorkommen.»

In einem Punkt hingegen war der Pariser Alptraum stimmig. Er las sich wie ein weiteres Unterkapitel in Dworkins schriftstellerischem Gesamtwerk. Seit bald 30 Jahren schreibt sie an derselben grossen Erzählung: der Saga vom mitleidlosen Angriffskrieg der Männer gegen die Frauen. Ihr literarischer Auftakt trug den programmatischen Titel «Woman Hating» (Frauenhass), spätere Bücher hiessen «Pornography: Men Possessing Women» (Pornografie: Männer beherrschen Frauen), «Intercourse» (Verkehr), «Letters from a War Zone» (Briefe aus einem Kriegsgebiet) oder «Life and Death» (Leben und Tod).

Intime Bekenntnisse

Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte sie allerdings lange vor ihrer Zeit als Autorin – ebenfalls mit einem persönlichen Erlebnis, welches sie später als Vergewaltigung bezeichnen würde. Im Jahre 1965, sie war 18, wurde sie nach einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg verhaftet und für vier Tage ins Frauengefängnis von New York gesteckt. Nach ihrer Entlassung wandte sie sich an die Presse. Während der Haft, erzählte sie einer Reporterin, hätten zwei Gefängnisärzte eine brutale Vaginaluntersuchung an ihr vorgenommen, worauf sie vierzehn Tage lang an Blutungen gelitten habe. Zeitungen und Fernsehstationen im ganzen Land griffen den Fall auf, eine Kommission nahm die Verhältnisse im Gefängnis unter die Lupe, und die junge Frau wurde für kurze Zeit eine landesweite Berühmtheit.

Persönliche Gewalterfahrungen sollten zu einem festen Bestandteil, zu einem Stilmerkmal ihrer Texte werden. Ob die Prügelorgien ihres kurzzeitigen holländischen Ehemannes, ob die sexuellen Attacken während ihrer «Wanderjahre» als angehende Autorin «draussen in den Strassen von New York» – keine noch so krude Einzelheit ersparte sie der Leserschaft. Wobei sie immer klar machte: Die Angriffe galten nicht ihr als Individuum, nicht Andrea, Tochter einer jüdisch-kleinbürgerlichen Familie aus Camden, New Jersey, sondern Andrea, der Frau, Angehöriger einer verfolgten Spezies, Opfer einer globalen Verschwörung lüstern grinsender Phallokraten. Ihr Werk, formulierte sie einmal, sei der Versuch, dem Kampf gegen eine tödliche Macht eine Stimme zu geben: gegen «Faust und Penis, organisiert, um dich zum Schweigen zu bringen».

Die intimen Bekenntnisse verliehen ihrer Theorie die Authentizität des Selbsterfahrenen. Mit ihrem malträtierten Körper bürgte sie für die Wahrheit ihrer Gedanken. Kaum vorstellbar, dass jemand erfinden könnte, was so schmerzlich genau beschrieben wurde. Abgesehen davon, dass kein vernünftiger Mensch bestreiten konnte, dass Gewalt gegen Frauen eine Realität war.

1981 wurde ihr Buch «Pornography: Men Possessing Women» publiziert. Drei lange Jahre, erzählte sie, habe sie daran gearbeitet. Drei lange Jahre habe sie sich Bilder von ausgebreiteten, gefesselten, aufgehängten Frauenkörpern zu Gemüte geführt, sich durch Texte gequält, in denen Frauen von Männern, Gruppen, Tieren vergewaltigt wurden, in denen von Urin, Exkrementen, Herausreissen von Eingeweiden und Penetration die Rede war. Obwohl sie kaum mehr schlief und von furchtbaren De-Sade’schen Träumen heimgesucht worden sei. Warum hatte sie sich das angetan? Weil es, so erklärte sie in einem Aufsatz, wichtig sei zu verstehen, wie männliche Gewalt funktioniere. Denn die Pornoindustrie sei die reinste Ausprägung der patriarchalen Dominanz, gleichsam das Herz des Bösen. Sie sei «das Pentagon, die Kriegszentrale». Dort würden sie die «Soldaten ausbilden», und die würden losmarschieren gegen die Frauen, «gegen uns».

Hol sie dir, die Schlampe

«Jemand hat gesagt, Andrea Dworkin sei ein «atrocity addict», Sie seien süchtig nach Grausamkeiten. Werden Sie durch Gewaltszenen erregt?»

«Ich befasse mich mit den grausamen Dingen, weil ich es kann. Viele Leute würden es nicht ertragen. Aber jemand muss die Arbeit machen. Und ich halte es aus. Ich bin ziemlich hart im Nehmen. Ich glaube nicht, dass Sie mir diese Frage stellen würden, wäre ich ein Mann. Oder würden Sie Dostojewski oder Artaud auf dieselbe Weise befragen? Ich glaube nicht.»

Dworkin sah keinen Unterschied zwischen den Aufnahmen einer entblössten Frauenbrust, einer Gruppenrammelszene, eines Sadomasorituals oder einer Jungfrauenschlachtung in einem Splattervideo. Keinen zwischen Weltliteratur und Schmuddelmagazin. («Ulysses» von James Joyce? «Wendekreis des Krebses» von Henry Miller? «Schmutzige Bücher.») Und vor allem keinen zwischen inszeniertem Sex und realem Sex, zwischen Fantasie und Wirklichkeit, zwischen Wort und Tat. In allem liegt die Aufforderung:

«Los, Mann, hol sie dir, die Schlampe. Sie gehört dir. Du darfst mit ihr machen, was du willst. Sie wird ebenfalls Spass haben.»

Pornografie ist nach Dworkin die Vorlage, das Handbuch; Vergewaltigung und Tötung die Praxis. Serienmörder holen sich aus jener die Anleitung, Kinderschänder die Rechtfertigung. Pornografie ist das ideologische Gleitmittel der geschlechtlichen Apartheid. Sie zelebriert die Frauenverachtung und feiert den Terror. Sie ist die Politik einer Gesellschaft mit «Vergewaltigungskultur», in der «Gewalt gegen Frauen ein Sport ist, ein Amüsement, ein soziales Massenvergnügen». Am tiefsten erniedrigt aber ist die Pornodarstellerin. Sie lächelt, wenn sie vergewaltigt wird. Sie ist noch schlimmer dran als die Häftlinge in den KZs der Nazis: «Die Juden taten es sich nicht selber an, und sie hatten keinen Orgasmus (…) Niemand, nicht einmal Goebbels, sagte, dass die Juden es gerne hatten.» Überflüssig fast zu erwähnen, dass Hitler selber «Werke semipornografischer Natur» sammelte, wie zum Beispiel «die seltsamen Untersuchungen von Edward Fuchs – «Geschichte der Erotischen Kunst» und «Illustrierte Sittengeschichte»». Oder dass er «gerne Frauenboxen sah». Und vergesst nicht, schreibt Dworkin: «Auschwitz wurde gestoppt; Inzest nicht.»

«In Ihrem autobiografischen Roman «Eis und Feuer» beschreiben Sie, wie Sie durch erniedrigende Erfahrungen mit Männern zur Feministin werden. Allerdings nicht zu einer «Feministin der lustigen Sorte». Was meinten Sie damit?»

«In den USA haben wir diese kuriose Situation, dass alle die ganze Zeit so tun müssen, als wären sie glücklich. (Lacht.) Die Politikerinnen halten diese Fassade aufrecht, die Sprecherinnen der Frauen, und sie sagen, alles ist in Ordnung, ach ja, nur hier müssen wir noch ein bisschen ändern und da noch ein klein wenig reformieren. Nichts ist jedoch in Ordnung und Gleichheit noch keineswegs erreicht, und meiner Meinung nach gewinnt man keinen politischen Kampf, indem man lügt. Und wenn man das ausspricht, hört dir niemand zu. Warum? Weil du unglücklich bist. Sehen Sie, meine Bücher werden in diesem Land nicht ernst genommen. Die Leute sagen nicht, na ja, das ist interessant, sondern sie sagen, oh mein Gott, nicht schon wieder, was ist ihr Problem, warum tut sie uns das an. Als ob ich sie zwingen könnte, meine Sachen zu lesen.»

Unheimliche Allianzen

Eine der Leserinnen von Dworkins «Pornography» war die Rechtsprofessorin Catharine MacKinnon. Diese hatte 1979 ein viel beachtetes Buch über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verfasst, zudem als Anwältin den ersten Fall von sexueller Belästigung vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten vertreten – und gewonnen. MacKinnon war beeindruckt von Dworkins antipornografischem Urschrei und lud diese 1983 als Gastdozentin an die Universität von Minnesota ein. Das Zusammentreffen der rigiden Intellektuellen aus einer konservativen Richterfamilie und der jüdischen Essayistin mit den Latzhosen und der expressiven Emotionalität hatte Folgen. Die beiden grundverschiedenen Frauen – Strategin die eine, Prophetin die andere – formierten sich zum Kampfbund, von Gegnern kurz MacDworkin genannt, der legendär werden sollte.

«Es gibt Leute, die sagen, die Dworkin sei wirklich verrückt. Zum Beweis präsentieren sie Sätze aus Ihren Vorträgen und Schriften. Ich würde Ihnen gerne ein

paar vorlesen. Beispielsweise diesen: «Inzestuöse Vergewaltigung wird in der heutigen Zeit zum Muster für Geschlechtsverkehr.» Wie denken Sie heute darüber?»

«Ich glaube noch immer, dass dies wahr ist.»

«Oder diesen: «Eine Liebesbeziehung ist Vergewaltigung, verschönert durch bedeutungsschwere Blicke.»»

Dworkin lacht zufrieden. «Und es gibt noch diesen anderen über Vergewaltigung, Verführung und Weinflaschen. Ja, auch dies glaube ich immer noch.»

«Das ist ziemlich pessimistisch.»

Dworkin lacht fröhlich. «Haben Sie noch andere?»

Erstes geistiges Geschöpf des Paares Dworkin/MacKinnon war ein Antipornografie-Gesetzesentwurf. Er definierte Pornografie als «sexuelle Diskriminierung», als «drastische, sexuell anschauliche Unterwerfung von Frauen durch Bilder und/oder Worte». Eine ebenso radikal einseitige wie heillos vage Definition, welche aber jedermann ermächtigte, jede sexuelle Darstellung (oder als solche wahrgenommene) einzuklagen und gegen jede Herstellung und Verbreitung von sexuell geprägten Produkten einen Prozess anzustrengen. Der Zensurparagraf wurde von verschiedenen Behörden überall in den USA ernsthaft in Erwägung gezogen und in zwei Städten (Minneapolis 1983 und Indianapolis 1984) in Kraft gesetzt. Nur kurzfristig zwar, um wieder aufgehoben zu werden, da er einen klaren Verstoss gegen das urdemokratische First Amendment (Erster Zusatzartikel der Verfassung: Recht auf freie Rede) darstellte. Gleichwohl sollten die sexualpolitischen Hygienevorstellungen der beiden Trommlerinnen eine überraschende Tiefenwirkung erzielen.

«Wie steht es mit diesem Satz? «Der Penis verursacht Schmerzen, aber der Schmerz steigert das Vergnügen. Es ist, als ob die Fähigkeit des Penis, schmerzhaft einzudringen, eine im Penis angelegte Eigenschaft sei und nicht eine Verwendungsweise des Penis… Ficken ist also automatisch sadistisch.»»

«Ich kann mich nicht erinnern, so etwas geschrieben zu haben.»

«Es ist aus «Pornography».»

«Also beschreibe ich ein pornografisches Szenario. Es zeigt die pornografische Ethik, nicht meine.»

Die Reagan-Ära der Achtzigerjahre brachte einen Aufschwung der konservativen und religiösen Rechten. Deren Preisung von traditionellen Familienwerten ging einher mit der Verdammung von sexueller Freizügigkeit. Eine von Präsident Reagan eingesetzte Pornografie-Kommission unter der Leitung von Staatsanwalt Edwin Meese legte 1986 einen Bericht vor, der eine schärfere Anwendung der bestehenden Sittengesetze empfahl. Die Kommission war bei ihrer Arbeit vom gleichen Glaubensgrundsatz ausgegangen wie Dworkin/MacKinnon und ihre Mitkämpferinnen: Pornografie sei schädlich für Frauen. Eine Obscenity Unit unter der Leitung des FBI wurde ins Leben gerufen, eine Art Sexpolizei, welche mit inquisitorischem Eifer gegen Vertreiber von anstössigem Material vorging. Opfer von Razzien wurden nicht nur Pornoshops und Erotikverlage, sondern auch renommierte Künstler wie der Fotograf Jock Sturges, dessen Bilder unter anderem im Metropolitan Museum of Art in New York hingen.

«Erinnern Sie sich an die Passage über Schwangerschaft und Kaiserschnitt? «Schwangerschaft ist die Bestätigung, dass die Frau gefickt wurde: Es ist die Bestätigung, dass sie eine Fotze ist…. Ihr Bauch ist der Beweis dafür, das sie benutzt wurde. Ihr Bauch ist der Triumph des Phallus…. Die Schwangerschaft ist die Strafe, dass sie beim Sex mitgemacht hat… Ihr möglicher Tod löst die sexuelle Erregung aus… Und jetzt haben die Ärzte noch mehr Sex hinzugefügt – nämlich beim Akt der Geburt… Sie wird gefesselt – buchstäblich mit Handschellen festgeschnallt und gefesselt, mit Stricken und Ketten unbeweglich gemacht… Ihre Beine sind gespreizt, sie schütten sie mit Drogen voll, um die Wehen einzuleiten; ihre Fesseln und die Drogen verursachen intensive und unerträgliche Schmerzen… sie wird mit Drogen vollgepumpt und aufgeschnitten, chirurgisch gefickt. Die Epidemie der Kaiserschnitte in diesem Lande ist ein sexuelles, kein medizinisches Phänomen.»»

«Starke Worte, das ist wahr, aber Kaiserschnitte hatten damals wirklich eine Art epidemische Verbreitung, und Ärzte wurden angeklagt, diese ohne medizinische Notwendigkeit ausgeführt zu haben.»

Als zuverlässige Promotoren der feministischen Antipornofraktion erwiesen sich pikanterweise die Bibeltreuen. In Indianapolis beispielsweise profilierte sich der Baptistenprediger Greg Dixon bei der Einführung des MacDworkin’schen Bilderverbots. Reverend Dixon, Partisan der reaktionären Moral Majority (Moralische Mehrheit), gestandener Künder alttestamentarischer Patriarchatsträume, traf sich mit den streitbaren Schwestern in der Vorstellung vom Weibe als unschuldig-wehrlosem Kindwesen, das unter Kuratel gestellt werden muss.

Nachhaltigsten Einfluss hatte der Neopuritanismus auf das Klima an den Schulen und Universitäten. Was dort früher als Liebeleien unter Heranwachsenden durchging, drohte nun als «Gender-Terrorismus» verurteilt zu werden. Die Syracuse-Universität stellte einen Campuskodex auf, der unter anderem «zweideutige Bemerkungen und sexuell diskriminierende Witze» unter Strafe stellte. Weltweites Aufsehen erregte das Antioch College, welches ein 13-seitiges Kompendium verteilen liess, das die Studenten über eine sexuell korrekte Begegnung belehrte. («Wenn du ihre Bluse aufknöpfen willst, musst du zuerst fragen. Wenn du ihre Brust berühren willst, musst du zuerst fragen.») Und als sogar Ted Kennedy Anfang der Neunzigerjahre einen Erlass unterstützte, der ermöglichen sollte, sexuelle Belästiger bereits im Kindergartenalter dingfest zu machen, kam man nicht umhin zu folgern, dass die erotischen Zwangsfantasien einer Minderheit unterdessen in den Alltag des amerikanischen Mittelstandes eingedrungen sein mussten. («Da sind Kindergartenbelästiger», sagte Ted Kennedy. «Wir werden handeln und sie im Frühstadium identifizieren.»)

In die eigene Falle getappt

Die Botschaft erreichte auch Europa. 1987 lancierte Alice Schwarzer in Deutschland die PorNo-Kampagne. Ihre Argumentation stützte sich im Wesentlichen auf Dworkins Pamphlet «Pornography», welches sie ins Deutsche übersetzen liess und publizierte. «Ohne Kenntnis dieses Buches wird in Zukunft über Pornografie nicht mehr nachgedacht, gesprochen oder gestritten werden können», schrieb die «Emma»-Herausgeberin und lud Dworkin zu Veranstaltungen ein. Auf deutschen Hausmauern tauchten Sprüche auf wie «Femizid», «ERmordet», «Pornografie = Vorstufe des Faschismus gegen Frauen», und Schaufenster von Sexshops gingen in Brüche. Schwarzers Kampagne löste eine heftige Kontroverse aus. Ihr Ziel, in Deutschland ein gesetzliches Verbot der Pornografie zu erwirken, scheiterte jedoch ebenso wie in den USA.

Einzig in Kanada erlangte die feministische Zensurforderung 1992 Gesetzeskraft. Dworkins Freundin MacKinnon sprach triumphierend von einem «atemberaubenden Sieg für die Frauen. Es ist von welthistorischer Bedeutung. Damit ist Kanada das erste Land der Erde, das offen ausspricht, dass das Obszöne Frauen schadet.» Ein Jahr später musste die Fachpublikation «Feminist Bookstores News» jedoch irritiert feststellen, dass der aufgerüstete Paragraf fast ausschliesslich angewandt wurde, «um lesbisches, schwules und feministisches Material zu beschlagnahmen». Und unter den am kanadischen Zoll konfiszierten Büchern waren ausgerechnet auch Andrea Dworkins «Pornography» und «Woman Hating». Sie erfüllten, so der Befund der Zollbeamten, «den Tatbestand strafbarer Erotisierung von Schmerz und Fesselung».

Wie ein Migräneanfall

Auch Literaturkritiker haben immer wieder versucht, die Wirkung einer Dworkin-Lektüre zu beschreiben. Es sei wie ein Migräneanfall, schrieb einer; wie 38 Sitzungen beim Zahnarzt, formulierte ein anderer; wie ein Autounfall: unmöglich, hinzuschauen, unmöglich auch, wegzuschauen; wie mit dem Fingernagel über eine Kreidetafel fahren; so angenehm, wie einer Operation zuzuschauen; unerträglich belästigend.

Dworkin ist begabt. Sie kann mit Sprache Stimmungen schaffen und Bilder hervorrufen. Sie kann das Gegenüber verführen, ihrer Geschichte zuzuhören. Aber das genügt ihr nicht. Sie hat eine Sendung, und sie will, dass der andere ihr glaubt. Die Schriftstellerin wird zur Künderin, und ihre Sprache wird Propaganda. An Stelle des Arguments tritt der Slogan, an Stelle der Herleitung das einpeitschende Stakkato der Wiederholungen. Der Essay gerät zur Tirade, die Polemik zur Beschimpfung, ihre Romane kippen in Erweckungsprosa, und ihre Metaphern mutieren zu Karikaturen. Dworkin will aufrütteln, stören, wehtun. Ihr Ton ist schrill und der Stil drastisch, ihre Vergleiche sind überzogen und die Schlussfolgerungen masslos. Aber, scheint sie zu sagen, alle Mittel sind erlaubt. Denn ein Krieg findet statt, und keiner schaut hin.

Kein Beischlaf mit dem Feind

«Pornography» und Zensurdebatte hatten Dworkin übernationale Bekanntheit verschafft. Medien lieben Zuspitzungen, und die bekennende Lesbierin lieferte Formulierungen, die selbst den zynischsten Zeitungsmacher mit Respekt erfüllten. Dworkinsche Sätze wie: «Einer der Unterschiede zwischen Ehe und Prostitution ist, dass sich in der Ehe die Frau nur an einen Mann verkaufen muss», oder: «Bei der Verführung macht sich der Vergewaltiger die Mühe, vorher eine Flasche Wein zu kaufen», wurden gerne zitiert. Sie garantierten die Aufmerksamkeit der Leserschaft.

Auch die meisten liberalen und feministischen Intellektuellen und Achtundsechzigerveteranen begrüssten den literarischen Aktionismus Dworkins, wenn auch aus anderen Gründen. Der Siegeszug des restaurativen Reaganismus hatte sie in eine trübe Gemütsverfassung gestürzt. Doch dieser neue Feminismus schien von der besiegt geglaubten Radikalität beseelt zu sein. Zwar kritisierte er nicht mehr das Privateigentum an wirtschaftlichen Produktionsmitteln, sondern dasjenige an geschlechtlichen Reproduktionsmitteln. Der Penis war das Böse, nicht mehr der Konzern – der Marxismus wurde gewissermassen biologisiert. Aber der Wille zur Totalumkrempelung des Systems war wieder da. Gloria Steinem, Grand Old Lady des amerikanischen Feminismus und Herausgeberin der Zeitschrift «Ms.», verkündete: «In jedem Jahrhundert gibt es einige Schriftsteller, welche die Höherentwicklung der Menschheit vorantreiben. Andrea ist eine davon.» Und Autorin Erica Jong attestierte, dass «Andrea einige sehr wichtige Fragen» gestellt habe. Widerspruch wurde anfänglich höchstens gegen das Ansinnen laut, das im First Amendment verankerte Recht auf freie Meinungsäusserung zu beschränken.

Auf solche Einwände reagierte Dworkin mit einer Verschärfung der Rede. Im Buch «Intercourse» (1987) präzisierte sie ihre Vorstellung von heterosexuellem Geschlechtsverkehr. Dieser sei ein Mittel, die Frau zu unterdrücken und «physiologisch minderwertig zu machen». Genitalsex sei per se Vergewaltigung, eine «Invasion» in den Frauenkörper, vergleichbar mit dem Überfall einer fremden Armee auf ein anderes Land. «Die politische Bedeutung des Geschlechtsverkehrs für Frauen ist die grundsätzliche Frage von Feminismus und Freiheit: Kann ein besetztes Volk – physisch im Inneren besetzt, inwendig erobert – frei sein?» Natürlich eine rhetorische Frage, deren richtige Beantwortung gleich einen weiteren Sachverhalt klärte. Frauen nämlich, die behaupteten, Lust am Sex mit Männern zu haben, und aus freien Stücken in den Koitus mit dem Feind einwilligten, begingen politischen Hochverrat. Sie waren, wie sie an anderer Stelle schrieb, «Kollaborateure, die noch tiefer gesunken sind, als alle anderen Kollaborateure es jemals getan haben».

Solcherart Verlautbarungen verärgerten zunehmend nicht nur Dworkins heterosexuelle Mitkämpferinnen. Öffentliche Kritik an der Brachialfeministin mehrte sich, wobei die härtesten Attacken von den Geschlechtsgenossinnen kamen. Diese goutierten nicht mehr, dass Dworkin sich anmasste, den einzig wahren Feminismus zu vertreten, und abweichende Meinungen als «Zuhälterstrategie» abkanzelte. Man warf ihr «diktatorische Arroganz» vor, verglich sie wahlweise mit Hitler, Stalin, Trotzki, Goebbels. Man bezichtigte sie des «Sensationalismus», der «Paranoia» und disqualifizierte ihre oft als «lyrisch» und «intensiv» geadelte Prosa als «Hassliteratur» und «cunt speak» (Fotzensprache). Und die Schriftstellerin Camille Paglia höhnte im Herrenmagazin «Playboy» (1992/10) über ihre Kollegin: «Sie behauptet von sich, unerschrocken die Wahrheit zu sagen, aber sie erwähnt nie ihr offensichtlichstes Problem: Essen.» Die Frauensolidarität war zerbrochen.

«Wie erklären Sie die Feindschaften, die Sie sich beharrlich und konsequent zugezogen haben?»

«Als es damit anfing, war es ein Schock. Viele von uns hatten dafür gekämpft, Frauen in Positionen zu bringen, wo sie Macht hatten oder gehört wurden. Und dann benutzten sie diese Stellung, um gegen andere Frauen vorzugehen. Ich denke, sie haben sich für eine Hand voll Brosamen zur Ruhe gesetzt.»

«Das erklärt aber nicht deren scharfe Kritik an Ihnen.»

«Da müssten Sie sie selber fragen. Ich verstehe es nicht. Ich weiss nur, dass sie dafür belohnt wurden. Ihre Artikel wurden publiziert, und sie ernteten dafür Ruhm und Reichtum. Meine Überzeugung dagegen ist es, dass Ruhm nichts bedeutet und Kapitulation dumm ist.» (Sie wirkt beschwingt, nahezu heiter.) «Und ich glaube auch, dass es die Leute tief beleidigt hat, dass ich die Grenzen nicht akzeptiert habe, die für schreibende Frauen gezogen worden sind.»

«Das tönt alles sehr heroisch. Aber Sie haben Ihre Gefährtinnen, welche Männer liebten, immerhin als minderwertige Überläuferinnen tituliert.»

«Die Dinge sind nicht so einfach. Erstens täuschen viele Frauen den Orgasmus vor. Und zweitens ist es eine Tatsache, dass heterosexuelle Frauen eher von Männern geliebt werden möchten, als dass sie selber die Männer liebten.»

Massgebend beim Stimmungsumschwung innerhalb der Frauenbewegung war deren schleichende Verabschiedung aus der gesellschaftlichen Diskussion. Der Feminismus war nach dem Marxismus und der Psychoanalyse das letzte Grossprojekt, der letzte Versuch des 20. Jahrhunderts, der Welt einen zusammenhängenden Sinn zu verleihen. Die westliche Postmoderne löste jeden Konsens auf und liess die Vision einer besseren, weil verweiblichten Menschheit so überholt aussehen wie einen verwaschenen lila Schlabberpulli. Die Frauenpower der Neunziger wurde pragmatisch und privat, ein Kick für die individuelle Karriereplanung; Weiblichkeit ein Attribut des selbst gewählten Lifestyles; und das Nachdenken über Geschlechterrollen das Geschäft von Professorinnen, de-

ren geschraubte Abhandlungen kaum jemand mehr verstand.

Nur Dworkin veränderte sich nicht. Neun Jahre hatte sie an ihrem letzten Buch «Scapegoat» gearbeitet. Um was geht es darin? Um das Gleiche wie immer. Sie fordert ein Land für Frauen mit eigener Regierung und Armee. Sie propagiert das Recht der Frauen, jeden Mann zu exekutieren, der sie schlägt oder vergewaltigt oder als Freier besucht. Sie setzt die Lage der Frau mit derjenigen der Juden gleich. Und sie erinnert daran, dass Männer «biologisch verwundbar sind: Sie tragen ihre Genitalien an der Aussenseite ihrer Körper.»

Doch sie hatte Mühe, einen Verleger zu finden. Das Schlimmste war aber, dass das Buch von der Kritik nicht einmal verrissen wurde. Man nahm es schlicht nicht zur Kenntnis. Ihre Schockästhetik hatte sich abgenutzt. Nur etwas war neu. Die bekannte kanadische Kolumnistin Leah MacLaren stellte in der Zeitung «The Globe and Mail» Dworkins Pariser Vergewaltigung in Frage. Gleichzeitig zweifelte sie die früheren autobiografischen Berichte an. Das hatte noch nie jemand öffentlich getan. Dworkin solle, schloss sie, endlich Belege zu ihren Behauptungen liefern. Oder sie solle abtreten und glaubwürdigeren feministischen Denkern das Wort überlassen. Auf den Inhalt von «Scapegoat» ging sie mit keinem Wort ein.

Das Miauen der beiden Katzen im gemütlichen Brooklyner Haus geht langsam über in durchdringendes Heulen. Es ist Zeit für die Fütterung. Aus dem Obergeschoss taucht John auf, der höfliche homosexuelle Partner Andrea Dworkins, mit dem sie seit 26 Jahren in zölibatärer Gemeinschaft lebt.

«Frau Dworkin, die letzten Fragen. Haben Sie Leah MacLaren geantwortet?»

«Nein, was ich wusste, stand in meinem Artikel. Diese Leute sind so unwürdig und grausam. Sie sagen: Ich mag sie nicht, also ist es nicht wahr, was sie erzählt. Ich habe nicht die Kraft, mich gegen eine solche Scheusslichkeit zu verteidigen.»

«30 Jahre Kampf: Was haben Sie erreicht? Wo sind Sie gescheitert?»

«Die Pornografen siegten, wir scheiterten. Die USA gehört heute zu den grössten Exporteuren von Pornografie. Als Erfolg betrachte ich mein schriftstellerisches Werk. Einiges davon, denke ich, wird lange Bestand haben.»

«Lebt der Feminismus noch, oder ist er tot?»

«Im Westen ist er in einer Sackgasse. Nahe dem Tod.»

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