Die Weltwoche

28.03.2019

Eine Frage der Moral

Kinderkreuzzügler

Von Eugen Sorg

Die Huldigungen und Preisungen, die Greta für ihre utopisch-ruinösen Forderungen erfährt, verraten den kryptoreligiösen Charakter der Klimarettungsbewegung.

Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt – das Gespenst des Klima-Armageddon. Seit dreissig Jahren beschwören Umweltakademiker, Aktivisten, Medien und Politiker die Gefahr eines Hitzekollapses des Klimasystems. Nur eine «grosse Transformation», so die Warner, ein radikaler Umbau der Gesellschaft und der Verzicht auf die fossilen Lebensgaranten der industriellen Zivilisation – Kohle, Erdöl, Gas –, könne einen weiteren Anstieg der Erdtemperatur stoppen und den Planeten vor Katastrophen biblischen Ausmasses bewahren, vor Flutmassen, Dürren, Seuchen, Bürgerkriegen.

Die meisten Leute kümmerten die düsteren Meldungen zum Ende der Welt bis anhin kaum. Auch weil Experten und Medien in den letzten Jahrzehnten zu viele Untergangsprognosen verkündet hatten, die sich alle als falsch erwiesen. Weder ist Afrika durch Aids hingerafft worden, noch haben Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, Ebola grosse Teile der Menschheit ausgelöscht. Auch der Wald ist nicht gestorben, den Eisbären geht es glänzend, die Zahl der tropischen Wirbelstürme hat nicht zugenommen, und keine der kiribatischen Inseln ist vom Meer verschluckt worden.

Nun aber scheint der Alarmismus der Berufsapokalyptiker zum ersten Mal breitere Kreise erfasst zu haben. Der heisse und trockene Sommer von 2018 hatte in vielen das bange Gefühl geweckt, dass die schrillen Warner vielleicht doch recht haben könnten. Und das Auftauchen der jungen Klimaaktivistin Greta Thunberg gab diesem Gefühl ein Gesicht.

Die sechzehnjährige Schwedin und Schulstreikerin ist über Nacht zur internationalen Ikone einer erstarkten Bewegung zur Rettung der Erde geworden. Von Tokio bis Rom folgen Zehntausende Gymnasiasten und Studenten ihrem Beispiel, bestreiken den Schulunterricht und verlangen einen Stopp für alle Tätigkeiten und Technologien, die Treibhausgase wie CO2 produzieren. Und schon ist sie für den Friedensnobelpreis nominiert worden.

Die Huldigungen und devoten Preis- ungen, die Greta für ihre utopisch-ruinösen Forderungen erfährt, verraten den kryptoreligiösen Charakter der Klima- rettungsbewegung. Wenn die wunderliche Neoheilige die Klimaerwärmung als «grösste und existenziellste Bedrohung in der Geschichte der Menschheit» bezeichnet, dann bewertet man dies nicht als etwas überrissene Behauptung eines überspannten Teenagers, sondern entdeckt darin die Weisheit biblischer «Propheten». Gretas Jugend und Unwissen sprechen nicht gegen sie. Im Gegenteil. Der neuheidnische Klimakult verlangt Glaube und Hingabe, nicht Wissen und Ideenwettkampf. Wahrheit ist eine Frage der richtigen Gesinnung und nicht der skeptischen Suche nach Antworten. Und wer verkörpert diese Haltung besser als das ernste Veganer-Mädchen mit den strengen Zöpfen, dem reinen Herzen und einer von Wissen unbefleckten Moral?

Sogar Gretas Asperger-Störung wird als Zeichen überlegener Erkenntniskraft gedeutet. Wenn sie mit versteinerter Mimik ihrem Weltpublikum predigt: «Ich will, dass ihr in Panik gerät, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre», dann feiern feinsinnige Kommentatoren die «existenzielle Ernsthaftigkeit» von Gretas Sprache. Dass sich Thunbergs Angst nicht einfach der altruistischen Sorge um den Klimawandel, sondern ebenso der Erfahrung tiefer sozialer Fremdheit und emotionaler Einsamkeit verdanken könnte, wie sie für Asperger-Betroffene typisch sind, wird nicht erwogen.

Vor rund 800 Jahren war Nikolaus, einem Jungen aus Köln, ein Engel erschienen und hatte ihm aufgetragen, nach Jerusalem zu ziehen und das «Wahre Kreuz Christi» aus den Händen der muslimischen Eroberer zu befreien. Der Verlust des Kreuzes war ein unheilvolles Zeichen. Doch nur Junge, Unschuldige und Arme wären befähigt, das Heiligtum zurückzuholen und das Christentum zu retten. Nikolaus, offenbar charismatisch veranlagt, scharte 10 000 Leute um sich, Kinder Jugendliche, Frauen, und führte den legendären Kinderkreuzzug über die Alpen bis nach Genua.

Als sich dort das Meer nicht teilte, wie es der Engel versprochen hatte, löste sich der Zug wieder auf. Einige sollen trotzdem nach Palästina gelangt sein, wo man sie umgehend als Sklaven an die Muslime verkauft habe. Andere hätten die Heimkehr geschafft, wo man sie jedoch mit Spott und Häme empfangen habe.

Greta und ihre Kinderkreuzzügler werden nicht als Sklaven oder hungrige Bettler enden, sondern als gutverdienende Bürger eines wohlhabenden Landes. Die Zeiten, Institutionen, Kulturen ändern sich. Aber die Menschen, ihre Leidenschaften, Narreteien, Illusionen bleiben sich gleich.

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