Basler Zeitung

05.07.2016

Randnotiz

Kränkelnder Titan

Von Eugen Sorg

Die meisten Kriege verlaufen lautlos, langsam, kaum wahrnehmbar. Aber sie beeinflussen das Leben der Betroffenen nicht weniger tiefgreifend als die ­blutigen und lärmenden. So berichtete die amerikanische Fachzeitschrift Science unlängst, dass chinesische Wissenschaftler einen neuen Supercomputer entwickelt haben, der schneller arbeitet als alle ­bisher existierenden Modelle. «Sunway TaihuLight», dies der Name des Technologiemonsters, kann unvorstellbare 93 Billiarden Rechenschritte pro Sekunde (93 Pflops/s) ausführen – fünfmal mehr, als es «Titan» vermag, der stärkste amerikanische Supercomputer im Oak Ridge National Laboratory in Tennessee. China verfügt damit aber nicht nur über den potentesten Supercomputer weltweit, ­sondern hat auch die Führung als leistungsfähigste Computernation (Gesamtkapazität 211 Pflops/s) von den bisher unangefochten dominierenden ­Amerikanern (173 Pflops/s) übernommen.

Hier geht es nicht um entfesselte Technospielereien oder um virtuelle Duelle grössenwahnsinniger Computeringenieure. Supercomputer beschleunigen beispielsweise das Tempo wissenschaftlicher und technischer Innovationen und reduzieren gleichzeitig deren Kosten. Sie ermöglichen ein genaueres Verstehen der menschlichen Gehirns; sie erforschen die molekulare Zusammensetzung von neuen hochleistungsfähigen Materialien; sie simulieren nukleare Explosionen, knacken hoch verschlüsselte Codes, entwickeln schwer knackbare Codes. Supercomputer entscheiden über das ­ökonomische und militärische Überleben heutiger Gesellschaften. Amerika hat um diese elementare Wahrheit lange gewusst und versucht, seine globale technologische Dominanz zu sichern. Nun hat es eine erste Schlacht verloren. Will es langfristig nicht auch den Krieg gegen den erwachenden ­Riesen im Osten verlieren, muss sich seine politische Führung wieder den entscheidenden Fragen zuwenden. Gendergerechte Toiletten an den Universitäten, kultureller Selbsthass, Alt-Hippiefantasien bringen nicht jene Köpfe hervor, die Wettbewerbsfähigkeit und Freiheit des Westens gewährleisten. Nötig ist ein akademisches Curriculum, das Leistung belohnt, Debattenrobustheit fördert und exakten Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften wieder mehr Bedeutung beimisst. Wer gegen China antreten will, muss früh aufstehen.

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