Die Weltwoche

22.08.2019

Eine Frage der Moral

Lüstern grinsende Phallokraten

Von Eugen Sorg

Feministen verfallen immer wieder auf krude Verschwörungstheorien, die einen Angriff auf Realität und geistige Gesundheit darstellen. Ein wenig Selbsterforschung täte gut.

Die kommunistische Zeitung Der Funke frohlockte. Man hatte dort schon länger ein «weltweites Aufkeimen der Kämpfe gegen Frauenunterdrückung» festgestellt. Und nun war eine halbe Million Menschen dem Aufruf zum Frauenstreik vom 14. Juni gefolgt. Die «scheinbar ruhige» Schweiz, halluzinierten die Funke -Marxisten, erweise sich als «Teil einer internationalen Entwicklung, deren Fundament die organische Krise des Kapitalismus bildet».

Tatsächlich deutete nichts auf eine umstürzlerische Haltung der «Streikenden» vom 14. Juni hin, die von Grossfirmen wie Migros, UBS, ABB ermuntert worden waren, an der nationalen Kundgebung teilzunehmen, und die von den meisten Medien und Politikern beklatscht wurden. Man sah kaum Wut oder Verbitterung, aber viele lachende Gesichter von mittelständischen Frauen jeden Alters, die sich offensichtlich dabei wohl fühlten, einmal ganz unter ihresgleichen zu sein. «Das Zusammengehörigkeitsgefühl war wunderschön», fasste eine Teilnehmerin die geimensame Erfahrung zusammen. Entsprechend harmlos waren die meisten Forderungen der Protestierenden.

In Erinnerung des Zuschauers bleiben zwei Monate später höchstens einige besonders skurrile politgynäkologische Aktionen wie die «Klitoris-Wanderung: Aufklärung ohne Sexismus», wo ein riesiges Klitoris-Modell auf einem Leiterwagen spazieren geführt wurde; oder der Workshop «Wir basteln eine Vulva»; oder das Transparent mit dem Tampon und dem rätselhaften Bekenntnis: «Wir menstruieren auf das Patriarchat!» Ansonsten waren die Parolen so langweilig, dass man sie schnell wieder vergass.

Lohngleichheit wurde gefordert, Vereinbarkeit von Kind und Karriere, bezahlte Hausarbeit, Respekt, Frauenquoten – das übliche Klage- und Wunschkonzert des rot-grünen Mainstreams. Die uninspirierte Themensetzung hatte damit zu tun, dass der Feminismus, zumindest der frauenrechtliche, politische, gesiegt hat. Was gibt es noch einzufordern? Die grossen Ziele sind erreicht, das Patriarchat ist abgeschafft, der historische Anspruch auf Gleichstellung eingelöst. Hier existieren keine administrativen Mauern mehr, die Frauen daran hindern, den gleichen Beruf wie ein Mann zu ergreifen, falls sie es wollen. In keiner uns bekannten Zivilisation waren Frauen (und Männer) je so frei und gleichberechtigt wie in unserer westlich-abendländischen Moderne.

Zwar überdauern kulturelle Einstellungen in den Köpfen oft die überwundenen Verhältnisse. So mögen einige denken, Frauen seien dümmer als Männer, obwohl mehr als die Hälfte der Studierenden heute Frauen sind. Diese Meinung jedoch öffentlich zu äussern, dürfte sich kaum einer mehr getrauen. Er würde Spott und Hohn ernten. Rücksichtsvoller allerdings reagiert man auf einen anderen spätpatriarchalen Restreflex: den Ruf nach hoheitlichen Frauenquoten für Kaderpositionen. Doch wieso sollten Frauen in ihrer Karriere ausgerechnet von Vater Staat chaperoniert werden? Frauen brauchen keine Protektion und keine Sonderförderung. Sie sind nicht behindert.

Vielmehr könnte man im Selbstbewusstsein, einen historischen Sieg errungen zu haben, sich frei genug fühlen, ein wenig Selbsterforschung zu üben. Denn der Post-68er-Feminismus verfiel immer wieder in schrille Männerfeindlichkeit. Die Welt wurde gezeichnet als Verschwörung lüstern grinsender Phallokraten gegen die weibliche, ohnmächtige Hälfte der Menschheit. Von Vergewaltigung bis zur Galanterie, hinter allem entlarvte man das maskuline Zentralmotiv: Macht auszuüben und Frauen zu demütigen. Die männliche Gier nach Dominanz kannte in dieser Schau keine Grenzen.

Ende der achtziger Jahre verkündeten feministische Kreise die Botschaft, jedes zweite Mädchen werde in seiner Kindheit sexuell missbraucht. Und zwar meistens vom Vater oder Onkel. Als Beweis dienten dubiose Statistiken und Dunkelziffern. Die traditionelle Familie war kein sicherer Ort, sondern die Hölle. Die Kampagne «Väter sind Täter» hatte grossen Erfolg. Beratungsstellen wurden gegründet, Experten fanden ein Auskommen und unzählige Publikationen eine ebenso erschreckte wie faszinierte Leserschaft. Die allgemeine Erregung über den angeblich alltäglichen «Seelenmord» dauerte wenige Jahre an, befeuerte manche Hexenjagd und verschwand wieder, als wäre nie etwas gewesen. Nicht weil die Experten das Problem gelöst oder neue Statistiken Entwarnung gegeben hätten. Sondern weil keine Hysterie ewig andauert.

Der gegenwärtige feministische Angriff auf den Mann kommt von der Gender-Ideologie. Sie unterstellt diesem nicht mehr primär eine monströse Sexualität, sondern spricht ihm schlicht eine eigene Geschlechtsidentität ab. Geschlecht, das heisst Gender, sei keine naturhafte Kategorie, sondern ein flexibles, vielfältig auftretendes soziales Konstrukt. Die Unterscheidung in Mann und Frau, die Behauptung, Heterosexualität sei das Normale, zementierten in Wirklichkeit patriarchale, neuerdings noch: weisse Machtstrukturen. Die Gender-Bewegung mit der Philosophin und Lesbenaktivistin Judith Butler als Vordenkerin ist ein absurder Angriff auf Biologie, Realität und geistige Gesundheit.

Will der Feminismus ernst genommen werden, muss er sich mit seinen Auswüchsen auseinandersetzen. Bis jetzt gab man sich jedoch konfliktscheu. Eine der wenigen, die die moralische Selbstgerechtigkeit des feministischen Opferkultes und den gesellschaftlich desaströsen Kampf gegen Mann und Mannhaftigkeit beharrlich kritisiert, ist die streitbare Essayistin und Feministin Camille Paglia. «Läge die Zivilisation in Frauenhänden», schrieb sie einmal, «lebten wir immer noch in Strohhütten.»

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