Das Magazin

02.10.1999

MEIN WORT IST GESETZ

Aus dem Leben einer Domina

VON EUGEN SORG UND NATHAN BECK (BILDER)

Die Frau war jung und hübsch und höflich. Schon unter der Türe hatte sie sich für das «Puff in der Wohnung» entschuldigt. Im Gang standen einige Papiertaschen, Plastiksäcke, Kinderspielsachen und Zeitungsstapel herum. Küche, Wohnstube und das geräumige Kinderzimmer jedoch waren ordentlich aufgeräumt. Sie bat, Platz zu nehmen, und fragte, ob man etwas Kaffee wolle. Dabei lächelte sie wie eine schüchtern flirtende Konfirmandin. Sie sprach schnell, mit einer leicht monotonen Melodiosität, ein wenig so, wie wenn Kinder Gedichte vortragen.

«Sobald ich die Montur anziehe», sagt sie, «bin ich die Herrin Chloé. Wenn ich das Geld in der Hand habe und wieder draussen bin, ist die Sache für mich vorbei. Es ist ein Schauspieljob. Ich habe keine Probleme damit. Man verdient gut und schnell, die Männer begehren einen, und man kann kommunizieren. Die Menschen interessieren mich.»

Sie verschwand für einen Moment und kehrte mit einem Stapel Kleider auf dem Arm wieder zurück. Einzeln legte sie die Teile auf den Küchentisch. Ein schwarzes Ledertop, einen schwarzen Lederslip mit Nieten, drei schwarzrote Kleidchen aus Lack oder Leder, mit Metallnoppen, Fransen und Verschnürungen. Sie griff sich das kürzeste der Stücke, hielt es vor sich hin und deutete ein paar kokette Trippelbewegungen an, als ob sie ihre Debütantinnenrobe vorführen würde. Als sie das Kleid wieder zu den anderen legte und meinte, mit diesem habe sie am meisten Geld verdient, mischte sich etwas Verlegenheit unter den Stolz.

«Noch immer finde ich es extrem, wie willig Männer sein können und dass eine Domina mehr weiss über den Mann als die Ehefrau, mit der er seit 20 Jahren zusammen lebt. Sie redet mit ihm übers Geschäft, wäscht ihm die Socken, schläft mit ihm, steht mit ihm die Dinge durch, und bei mir, einer wildfremden Person, öffnet er sein Innerstes und lebt seine Fantasien aus. Mir tat es für die Ehefrau Leid, ich war immer für die Frauen.»

Für einen Moment bekamen ihre Augen einen traurigen Glanz. Sie schien selber zu glauben, was sie sagte. Dann lächelte sie wieder ihr Jungmädchenlächeln, etwas unsicher, entschuldigend, charmant. Es war schwierig, sich vorzustellen, dass das dieselbe Frau war, die im «Fullsize», einem Sadomaso-Kontakt-Magazin, Freier such-te mit Inseraten wie dem folgenden: «Mein Wort ist Gesetz. Ich geniesse meine grenzenlose Macht in vollen Zügen. Bin launisch, herrisch und doch ganz Frau. Deine geheimen Begierden erkennen und dir dann streng deine engen Grenzen aufzeigen. (Kein Soft.)»

Sie arbeitete seit einigen Jahren als Domina in Basel. Zuerst in einem Salon mit drei Kolleginnen, dann selbstständig mit eigenem Studio und seit einiger Zeit wieder im Vertragsverhältnis mit einer Agentur.

«Wie wird man eine Domina?»

«Vor fünf Jahren erzählte mir eine Freundin, dass sie als Domina arbeite. Ich wusste nicht, was das ist. Ich hatte eine Lehre als Laborgehilfin gemacht, arbeitete nicht mehr auf dem Beruf, hatte ein kleines Kind und suchte einen neuen Job. Die Freundin fragte mich, ob ich mal zuschauen wollte. Ich ging mit und traf eine neue Welt.»

Sie zündete sich eine Zigarette an.

«Der erste Kunde war ein Putzsklave. Auf allen vieren kauerte er unter dem Tisch, und die Freundin kommandierte ihn in strengem Ton herum. Er solle ihr die Stiefelsohlen lecken, den Boden, die Ränder der WC-Schüssel. Dazu beschimpfte sie ihn und hieb ihn mit einer Rute. Er war nackt. Und mit einer Schnur hatte sie ihm die Eier abgebunden, um das Blut zu stauen.»

Ich rutschte auf dem Stuhl herum. Mir war es ein wenig ungemütlich geworden.

«Und, was hast du dabei empfunden?»

Sie machte ein erstauntes Gesicht, als hätte sie noch nie darüber nachgedacht.

«Nach einer Stunde war die Sitzung fertig, und er bezahlte 300 Franken. Ich fand es lustig.»

Sie fand es lustig.

«Und dann?»

«Dann kam der zweite Kunde. Der wollte es extrem. Er wurde auf dem gynäkologischen Stuhl festgebunden, und die Freundin nähte ihm mit einem chirurgischen Faden die Haut der Hoden über dem Penis zusammen. Wieder unter ständigem dominantem Reden. Es kommt mir jetzt nicht mehr in den Sinn, was für Schimpfworte man jeweils braucht, also, die Umgebung muss stimmen. Sie hier zu sagen, wäre mir ein wenig unangenehm.»

Wieder lächelte sie, als ob sie sich für das ungespülte Geschirr entschuldigte.

«Was ging dir durch den Kopf?»

«Ich musste plötzlich denken, was passieren würde, wenn er jetzt Pipi machen müsste.»

Das kam überraschend.

«War das alles?»

«Nein. Ich sagte es meiner Freundin, und sie meinte, dann müsste er den Faden selber aufschneiden. Und als die Stunde um war, befahl sie ihm, die Hosen wieder anzuziehen, zu gehen und in einer Stunde wieder anzurufen. Er war noch nicht gekommen. Es war später Nachmittag, er küsste ihre Stiefelspitzen und rutschte auf den Knien zur Türe hinaus, den Kopf gesenkt.»

«Hat er wieder angerufen?»

«Genau nach einer Stunde rief er wieder an. «Wo bist du?» «Im Büro.»

Sie hiess ihn eine Schere zu nehmen und die Fäden durchzuschneiden und kommandierte ihm, sich mit Schuh-bändeln abzubinden. Er bettelte, ob er kommen dürfe, Herrin, bitte, und sie befahl ihm, die Hände wegzunehmen, seine Hosen anzuziehen und in einer halben Stunde wieder anzurufen. Dann wieder dasselbe Spiel. Er flehte und bettelte, und sie putzte ihn runter bis zum Schluss und dann befahl sie ihm, nächste Woche um die gleiche Zeit wieder anzurufen und hängte auf, ohne zu warten, bis er wieder sauber war. Für den ganzen Service hatte er 500 Franken hingelegt. Das Prozedere war vorher genau abgemacht worden.»

Fast zwanghaft setzte sich ein Bild in meinem Kopf fest. Ich sah den Mann, wie er mit heruntergelassenen Hosen in der Ecke seines Büros kniete und genau in diesem Moment seine Sekretärin hereinkam. Es war peinlich und absurd. Ich musste lachen und wunderte mich über mich selbst. Und über Chloé. Sie fand gar nichts Komisches dabei. Sie hatte eine ganz andere Reaktion.

«Ich sah, dass die Palette der Behandlungen vielseitig war. Ich konnte mir diese Tätigkeit vorstellen.»

«Warum?»

«Wichtig für mich war, dass einen die Männer nicht berührten, und angenehm, dass man nicht mit ihnen schlafen musste. Zudem war ich ein Weichling, und ich dachte, das könnte mich härter machen. Zwei Jahre später stellte ich bei mir wirklich eine Veränderung fest. In einem Geschäft hatte ich einem Mann die Türe aufgehalten, und er griff mir dafür zwischen die Beine. Ich schmierte ihm augenblicklich eine. Das hätte ich früher nie gekonnt. Mein Job als Domina tat mir gut.»

Sie verschwand im Klo und kehrte nach einem Moment wieder zurück. Sie war in Fahrt gekommen.

«Ich stieg bei der Freundin ein, und sie brachte mir die wichtigsten Sachen bei. Selber war sie eine der besten Dominas Europas. Ihre Philosophie ist:

Tu nur, was du verantworten kannst. Das ist auch meine Philosophie. Wenn ein Kunde etwas verlangt, das ich nicht gut kann, dann mache ich es nicht, und wenn er noch so viel Geld dafür bietet. Katheter in die Harnröhre einführen zum Beispiel. Oder ein anderer kam mit einer Black-&-Decker-Bohrmaschi-ne. Er wollte, dass ich ihm damit Nägel in die Brustwarzen treibe. Er bettelte und bettelte, doch ich lehnte ab. Manche wollen, dass man ihnen einen Strick um den Hals legt und zuzieht. Man macht zwar vorher ein Gnadenwort ab. Zum Beispiel: Bitte Herrin, ich flehe um Gnade. Oder man verständigt sich über Augenkontakt. Das Risiko aber, dass dir einer abverreckt, ist zu gross. Einmal zwar machte ich es. Aber mit einer erfahrenen Kollegin.

Der Mann hatte viel Coci geschnupft, wir zogen ihm die Lederkappe über, schnallten ihm Manschetten an, hängten ihn an den Flaschenzug, Strick um den Hals, ich bei den Füssen, die Kollegin am Kopf, und fingen an, ihn hochzukurbeln. Er war ein alter Mann und röchelte, und plötzlich liess er seine Arme kraftlos nach unten fallen. Wir erschraken und kurbelten ihn sofort wieder runter. Er war bewusstlos. Als er die Augen wieder öffnete und zu sich kam, sagte er: Schade, er wäre gerne zwischen zwei Dominas gestorben.»

Sie redete über ihren Job wie ein Automechaniker über Automotoren. Sachlich und selbstverständlich. Als würde jeder verstehen, welches die berufsspezifischen Risiken sind und was eine Manschette, ein Gnadenwort, eine Kurbelwelle, ein verstopfter Vergaser oder eine Brustwarzenbehandlung ist. Es war klar. Sie verkehrte hauptsäch-lich mit Berufskolleginnen und Kunden. Ihr Job ist dort die normalste Sache der Welt. Und je länger man ihn macht, desto weniger kann man sich vorstellen, dass der Rest der Welt anders funktioniert als man selber.

«Was macht eine gute Domina aus?»

«Sie spürt, was der Kunde will. Oftmals, bevor dieser es selber weiss. Aber sie muss auf dessen private Umstände Rücksicht nehmen. Bei Verheirateten muss sie darauf achten, dass sie auf deren Körper keine Striemen hinterlässt. Nach einer Viertelstunde beispielsweise muss sie die Schnur von den Eiern lösen, sonst gibt es einen dunkel leuchtenden Bluterguss. Eine Sitzung dauert in der Regel eine Stunde, und man muss sie mit Gespür gestalten. Es ist, wie wenn man auf einen Berg klettert. Man bereitet den Kunden auf den Höhepunkt vor. Man zieht ein wenig an, verstärkt die Schläge, schaut immer, ob es ihm gefällt, ob er steht oder ob man wieder etwas reizen muss.»

«Was kannst du am besten?»

«Jede Domina hat ihre Spezialitäten. Beliebte Anregungen in unserem Metier sind Foltergeschichten aus der Dritten Welt oder Filme mit Kriegs- und Kampfszenen. Mein Gebiet ist das Kunstwerk des Fesselns. Ich nehme Bergsteigerseile und verwende verschiedene Knüpftechniken. Es braucht Zeit und Geschick. Man fängt mit dem Sack an, schnürt ihn nach hinten, dann den Hals und die verdrehten Arme. Mit Räucherstäbchen brenne ich an den empfindlichen Stellen, dazu schimpfe ich.»

Ich konnte dieses mädchenhafte Wesen immer noch nicht richtig als vulgäre Peitschenschwingerin sehen.

«Wo hast du das Schimpfen gelernt?»

«Für den strengen Ton und das Befehlen hat mir geholfen, dass ich Buster habe. Meinen Hund. Mit ihm konnte ich üben, was mir von Natur aus eher nicht so liegt.»

«Welches sind die angenehmsten Kunden?»

«Die Fusserotiker, die Fusssklaven. Mit ihnen mache ich zum Beispiel Kaffeekränzchen. Der Sklave ist unter dem Tisch, und ich sitze mit Kolleginnen in Stilettos darum herum. Wir verspotten und demütigen ihn und drücken ihm die Absätze auf die Brustwarzen, und er ergötzt sich an den Füssen und am Gespött. Unter den Tisch schicke ich jeweils auch meine Leibsklaven. Ein anderer guter Kunde war ein 90-Jähriger aus dem Altersheim. Seine Frau habe ihm einmal pro Woche Füdlitätsch gegeben, erzählte er, jetzt sei sie tot, und die Schwestern im Heim würden es nicht machen. Und er vermisse es. Er bezahlte 150 Franken und schenkte mir, wie er sagte, Schmöckiwasser, Parfüm, in der Hoffnung, damit sei der Rest beglichen. Er kriegte ihn nicht mehr hoch, aber er wollte gehauen werden. Und er hatte nur die AHV. Er war rührend.»

«Was ist ein Leibsklave?»

Erneut verschwand sie kurz auf der Toilette und zündete sich bei der Rück-kehr die nächste Zigarette an.

«Jede Domina hat meistens einen. Der Leibsklave verpflichtet sich, dir zu dienen. Er macht alles und gehört dir. Wenn ich ihm sage: Verkleide dich als Frau, schminke dich, geh auf die Gasse anschaffen und bringe mir das Geld, dann macht er das. Es sind meistens Einzelgänger, die einsam leben und niemanden näher kennen. Er übergibt mir sein Leben, und ich übernehme die Verantwortung.»

«Das sind Märchen.»

«Nein, hör zu. Ich hatte einen Kunden, einen älteren Flughafenpolizisten, der nahm zweimal pro Jahr eine Woche Ferien, um mein Leibsklave zu sein. Er musste einen Lohnauszug bringen, und wir machten die Pauschale ab, 3000 Franken pro Woche, alles inklusive, was nicht viel ist. Das verdiene ich normalerweise in sechs Stunden. Die ganze Zeit über war er nackt im Käfig eingesperrt oder gefesselt oder in Handschellen. Er verliess das Studio kein einziges Mal. Wenn andere Kunden da waren, musste er die Lederkappe überziehen, und wenn einer in der Runde durch die Hintertüre genommen werden oder eins geblasen haben wollte, machte er das. Ich verfügte absolut über ihn. Ich fütterte ihn mit Hunde-futter, Kaviar und Natursekt. Er wollte mir gehören, und es war eine Ehre für ihn, meinen Kaviar essen zu dürfen. Und wenn er nicht wollte, drückte ich ihm den Kopf in den Teller. Einmal sammelte ich beim Spaziergang das Geschäft von Buster auf und legte es in einem Tellerchen unter die Heizung, um es aufzuwärmen. Ich muss zugeben, dass ich meinen Leibsklaven nicht mochte. Er nahm regelmässig ab in dieser Zeit.»

Ich goss mir ein Glas Wasser ein.

«Das ist total krank und pervers.»

«Das ist eine Veranlagung. Die Männer, die zu einer Domina gehen, respektiere ich als Menschen.»

«Sicher. Vor allem deren Geld.»

Sie überging meine Bemerkung.

«Viele können nicht zu ihrer Veranlagung stehen. Oder sie können mit niemandem darüber reden. Es ist ein Tabu. Unter meinen Kunden sind sehr gut aussehende und gut erzogene Männer.»

«Gut verdienende.»

«Jawohl, gut situierte. Ein kleiner Angestellter mit zwei Kindern könnte sich uns nicht leisten. Ich hatte Anwälte, Architekten, einen pensionierten Staatsanwalt, selber eher dominant, einen Mathematiker, einen Unipsychologen. Dieser Psychologe war ein Extremer. Er stand auf Kaviar und Schläge, mein Gott. Ich gab ihm ein Klistier, zog ihm Windeln an, gab ihm 200 Schläge auf die Windeln, sperrte ihn ein. Er machte in die Windeln, kriegte nochmals Schläge, ich verteilte die Sauce auf den ganzen Körper, und er holte sich dazu einen runter. Dann duschte er, packte das dreckige Zeug in einen Migros-Sack und verabschiedete sich. Er war ein netter Kerl und lud mich zum Nachtessen ein. Ich ging aber nie hin.»

«Ekelhaft.»

«Ich empfinde keinen Ekel bei meiner Arbeit.»

Ihre Stimme wurde fester und lauter.

«Ich bin extrem sauber. Sogar wenn ich vom Bus komme, wasche ich als Erstes die Hände. Auch meine Tochter Yoko macht das. Sie ist jetzt sieben. Dominas sind punkto Hygiene absolut vorbildlich. Wenn Blut fliesst, arbeiten wir immer mit sterilen Handschuhen und Desinfektionsmitteln. Wie die Krankenschwestern. Nach jedem Gebrauch säubere ich die Lederkappe mit einem Zahnarztspray. Die Männer schwitzen wie verrückt unter den Masken. Und ebenso desinfiziere ich regelmässig alle anderen Utensilien. Handschellen, Peitschen, Nadeln, chirurgische Klemmen, Lederkorsett mit Reissnägeln für Penis und Hoden, den ganzen Schnick-schnack, den man so braucht.»

Natürlich meinte ich etwas anderes, aber sie liess mir keine Zeit zu antworten.

«Ich mache nur meinen Job. Einen wichtigen Job. Ich merkte schnell, dass bei den Männern, die zu mir kommen, etwas in der Brust kocht. Etwas Mächtiges, wie bei einem Mörder, der jemanden umbringen muss, damit er wieder ruhig ist. Sie können damit nicht zur Ehefrau gehen, das wäre zu heikel. Also kommen sie zu mir. Mich berührt das nicht. Sie betatschen nicht meinen Körper und haben Respekt. Nicht wie die Hurenkunden, von denen drei Viertel Arschlöcher sind, die auf die Frauen herunterschauen.»

«Du machst dir etwas vor.» ‹

Sie wurde wütend. Keine scheue junge Frau mehr. Zum ersten Mal konnte ich ein wenig nachvollziehen, wie sie mit ihren Klienten umging.

«Dominas lassen sich nicht schle-cken und haben keinen Verkehr. Und die, die es trotzdem machen, sind keine Dominas. Das ist der Job der Zofe. Das sind Huren, oft von der Srasse. Wobei ich die Hausfrauen eher verurteile als die Huren. Jene machen es gratis, waschen sich nicht regelmässig danach und treiben es vielleicht noch mit dem Milchmann. Eine Hure dagegen ist sauber und macht einen ehrlichen Job in einer kranken Welt. Ohne uns und die Huren gäbe es noch mehr vergewaltigte Frauen und geschändete Kinder.»

Nachdem sie zum dritten Mal innert zweier Stunden von einem kurzen Toilettenbesuch zurückkam, fragte ich sie, ob Kokain sehr verbreitet sei unter ihren Kolleginnen. Sie hatte sich wieder beruhigt. Ihre Antwort kam sofort.

«Man verdient schnelles Geld. Und wenn man niemanden zum Reden hat, sich darum auch ein wenig gehen lässt und Coci an jeder Ecke zu haben ist, zögert man nicht lange. Das ist einer der Gründe, warum die Frauen in unserem Metier trotzdem nie Geld haben.»

«Und die anderen Gründe?»

«Die Männer. Ich zum Beispiel war fünf Jahre mit Rick zusammen. Ich gab ihm monatlich 1500 Franken. Mindes-tens. Viele Frauen in diesem Gewerbe sind grosszügig mit ihren Freunden. Rick war modeverrückt, brauchte unbedingt ein Auto, und ich liebte ihn.»

«Warum ging es auseinander?»

«Er wollte nur mein Geld. Mein Job ist wie gesagt ein Schauspieljob. Private Probleme sind dabei hinderlich. Wenn der Kopf wie leer ist, weil ich traurig bin, was wegen Rick oft war, dann ist mir nicht darum zu Mute, jemanden fertig zu machen. Es fehlt der Enthusiasmus, alles scheisst dich an, und der Kunde merkt das. Einmal in der Woche zu Hause abladen, das wäre nötig. Rick hatte keine Zeit, mich abzuhören. Ich konnte zwar mit den Kolleginnen reden. Aber unter Frauen gibt es immer viel Eifersüchteleien und Unehrlichkeit. Es ist nicht einfach, eine zu finden, der man trauen kann. Und der Job stumpft ab. Der Blick der Frauen wird mit der Zeit härter und leerer. Ich hatte immer die Idee, dass es jemanden gibt für dein Herz, dass es eine Seele gibt, die auf dich passt. Jetzt bin ich enttäuscht.»

«Liebe zwischen Domina und Kunde?»

«Es ist ein Problem, dass sich Typen verlieben. Vor allem, wenn du gut aussiehst. Sie versuchen es bei dir, und wenn es nicht klappt, kommen sie nicht mehr. Eine Domina verkauft natürlich den Eindruck, sie stehe auf die Dinge, die sie mache. Das gehört zum Geschäft. Sie erzählt Märchen. Sie hasse Männer, sie wolle sich an ihnen rächen, weil sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, sie sei sadistisch veranlagt. Dabei haben die meisten eine normale Beziehung zu einem Mann. Eher sind sie unterwürfig. Sie wollen privat sicher keinen, der sich unterwirft.»

«Hast du aussergeschäftliche Kontakte mit Kunden?»

«Manchmal, wenn einer sympathisch ist, sitzt man nachher noch etwas zusammen und plaudert. Im äussersten Fall lasse ich mich zum Nachtessen einladen. Aber mehr auf keinen Fall. Es ist wie ein Gesetz, dass man sich bei einem Kunden nicht gehen lässt. Keine Gefühle, keine Techtel, die anderen würden sich sonst Gedanken machen, was mit einem los ist. Und wenn mich bei der Arbeit etwas aufgeilen würde, was noch nie vorgekommen ist, würde ich das niemandem sagen. Ich will von meinen Kolleginnen nicht komisch angeschaut werden. Es kann mit einem Kunden privat nicht funktionieren.

Erstens liebt er eine Illusion, die ich ihm vorspiele. Und zweitens würde er irgendwann mich rausholen wollen. Und mir Vorwürfe machen. Jede Frau weiss, dass das passieren wird.»

«Was sagte Rick zu deiner Arbeit?»

«Als wir uns trennten, sagte er, ob ich eigentlich im Ernst daran geglaubt hätte, dass er eine wie mich jemals heiraten würde.»

«Was denken deine Eltern?»

«Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen. So wie sie mich als Kind geschlagen und gedemütigt hat, wäre sie bestimmt eine gute Domina geworden. Als ich ihr von meinem Job erzählte, meinte sie nur, schade, habe es das nicht schon damals gegeben, sie hätte es sonst auch gemacht.»

«Und deine Tochter? Weiss sie, was du machst?»

«Seit einem Jahr. Ich hatte damals ein Haus bei Basel gemietet und im Keller einen Behandlungsraum eingerichtet. Eines Tages kam eine Freundin zu Besuch, und Yoko empfing sie mit Ledermütze und aufreizender Pose. Die Freundin kam zu mir und sagte, Yoko wisse alles. Nein, sagte ich, nie. Doch, sagte die Freundin, sie weiss alles. Es stellte sich heraus, dass meine Tochter jeweils güxeln gegangen war, wenn ich Kunden empfangen hatte. Wir gingen spazieren, und ich sagte ihr, dass es mir Leid tue, dass ich gelogen hätte über meinen Beruf. Ich erklärte ihr alles.»

«Die Kleine ist überfordert.»

«Ich will ehrlich mit ihr sein. Aber ich hatte ihr immer gesagt, ich sei Masseuse. Dann erklärte ich ihr, dass es zwei Arten Frauen gebe. Die einen gingen mit den Männern ins Bett, die anderen schlügen sie ab. «Gell Mami», sagte sie, «du gehst nicht mit ihnen ins Bett.» «Nein», sagte ich, «ich schlage sie ab. Weil sie krank sind und das brauchen.» Sie hatte extrem Verständnis.»

«Das ist nicht dein Ernst.»

«Yoko ist mein ein und alles. Ich will nicht, dass ihr etwas zustösst oder dass sie mir weggenommen wird. Ich sagte ihr, dass sie und ich ein Geheimnis hätten und einen Pakt zusammen schliessen. Sie dürfe niemandem erzählen, was ich mache. Denn es gebe Leute, die gegen mich seien. Sie würden nett mit ihr sein und sich einschmeicheln, aber nur um herauszufinden, was ich wirklich arbeite, um mir dann zu schaden. Sag nichts, trichterte ich ihr ein, sag nur, sie sollten mit Mami selber reden.»

«Du bist übergeschnappt.»

Sie redete einfach weiter, hastig und ohne Pausen, als ob sie dem Gegenüber keine Möglichkeit geben wollte, nachzufragen, als ob sie einen schwindlig reden wollte. Sie redete um ihren Kopf wie ein Schulkind, das eine Geschichte erfindet, warum es die Aufgaben schon wieder nicht hatte machen können.

«Ich ging mit Yoko zum Augenarzt. Sie hatte seit einiger Zeit behauptet, auf einem Auge nichts mehr zu sehen. Es war hundertprozentig in Ordnung. Der Arzt meinte, da könnte ein seelisches Problem dahinter stecken. Gut, vielleicht hat sie ein psychisches Problem. Aber nicht wegen dem, was sie gesehen hat. Höchstens, weil ich schlecht organisiert war. Ich habe sie gefragt, was sie tief innen beschäftige. Sie sagte, ich sei immer am Telefon und habe nie Zeit für sie. Ich antwortete, ich mache die Arbeit für sie, ich bräuchte das Geld, sonst hätten wir nichts zu essen. Aber es stimmt, eine Zeit lang war ich jederzeit abrufbar, alle zwei Minuten läutete das Telefon, und ich musste weg, um einen Kunden zu machen. Ich stand unter Druck, hatte keine Geduld. Und als ich das Studio im Haus hatte, schickte ich Yoko in ein anderes Zimmer, wenn ein Kunde sich anmeldete. Ich musste Ruhe haben und mich vorbereiten.»

«Du erzählst den totalen Schwachsinn. Du machst das Kind zum Komplizen von etwas, das es nicht versteht und das überhaupt nichts mit seinem Leben zu tun hat. Du lügst die Kleine an, wenn du sagst, du machest die Arbeit für sie. Sie muss mit dem ganzen Dreck leben, nur weil du zu bequem bist, eine normale Arbeit zu machen.»

Sie schien wie zu erwachen und schaute mich herausfordernd an. Das Schulmädchen straffte sich und verwandelte sich für einen kurzen Moment in die Herrin.

«Bevor ich Rick kennen lernte, putzte ich für 2000 Franken irgendwelche Wohnungen. Meinst du, ich könnte das jemals wieder tun? Würdest du?»

Dann wurde sie wieder leiser, und sie gab ihrer Stimme diesen unsicheren, singenden Klang zurück.

«Vielleicht beschäftigen Yoko auch irgendwelche Bilder, die sie in sich trägt. Rick hat mich oft zusammengeschlagen, und Yoko war dabei. Aber es war ein Glück für mich, wenn sie dabei war. Ohne Yoko wäre ich noch viel mehr drangekommen. Es wird schon gut werden mit ihr. So schlimm wie ich hatte sie es nicht in ihrer Kindheit, und ich bin auch gut herausgekommen. Und ich werde es nicht wie meine Mutter machen. Wenn es keinen Mann für mich gibt, werde ich auswandern, nach Afrika, um in einem Projekt für arme Leute zu arbeiten, oder nach Amerika in ein spirituelles Zentrum. Aber ich werde nicht in der Schweiz beiben, mich an das einzige Kind ketten und vereinsamen.»

Und jetzt müsse sie sich verabschieden, um Yoko aus dem Hort abzuholen. Höflich begleitete sie mich zur Tür. Ganz die junge, sympathische Frau von nebenan.

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