Die Weltwoche / Eugen Sorg

10.01.2002

Motocross mit Mullah Omar

Diesmal hätten sie ihn beinahe erwischt. Mullah Omar, höchster Talib, neben Terrorscheich Bin Laden meistgesuchter Mann der Welt, sass zusammen mit 1500 seiner Kämpfer in der Falle. Am letzten Wochenende waren sie umzingelt worden, beim Dorf Baghran nördlich von Kandahar. Auf den Hügeln ringsum hatte eine tödliche Überzahl afghanischer Regierungstruppen und amerikanischer Elitesoldaten Stellung bezogen. Keine Chance mehr für die Talibankrieger, sie beschlossen, sich zu ergeben, alle ausser einem: Mullah Omar. Auf einem Motorrad habe er plötzlich in dramatischer Fahrt die Belagerung durchbrochen, mit wehenden Pluderhosen, gefolgt von drei bärtigen Getreuen, ebenfalls auf Motorrädern. Die Bikers seien über einen Schotterpfad gerast, berichte-ten Augenzeugen, und spurlos in den Bergen verschwunden.

Sogar wenn die Geschichte nicht wahr wäre, würde sie den Kampfmuslim dennoch treffend charakterisieren. Dessen Karriere verlief in schwindelerregenden Volten und Tempi. Der Sohn eines armen, landlosen Bauern aus der heissen Einöde im Süden Afghanistans verdingte sich als halbgebildeter Dorfgeistlicher, zog wie jeder anständige Afghane in den Dschihad gegen die ungläubigen Russen, kehrte nach deren Vertreibung und dem Verlust des rechten Auges in seine Lehmhütte zurück, wo er den Dorfjungen Koransuren einbläute, als ihm Anfang der Neunziger Allah im Traum erschien und ihn aufforderte, die Führung der Gläubigen zu übernehmen. In seinem Land wüteten die einheimischen Warlords, so schlimm wie vor ihnen die gottlosen Besatzer.

Zwei Jahre später hängte sich Omar in Kandahar unter dem Jubel der Geistlichen den 1400 Jahre alten Mantel des Propheten Mohammed über, den ausser diesem selbst noch nie jemand getragen hatte, wurde zum Amir-ul Mominin, zum Obersten Führer aller Gläubigen, ausgerufen, ernannte sich zum Emir von Afghanistan, wo er bis auf eine letzte rebellische Provinz Sittengesetze von bizarrster Strenge einführte, und machte seinen Namen unsterblich mit der Sprengung der weltberühmten Buddhastatuen. Das Schicksal und der pakistanische Geheimdienst hatten es eine Zeit lang gut mit ihm gemeint.

Leider aber hatte er sich mit dem Araber Osama Bin Laden den falschen Jagdkollegen und Schwiegervater ausgesucht. Als der Westen den Krieg gegen den Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September aufnahm und dessen Stützpunkte in Afghanistan bombardierte, löste sich Omars Reich innert weniger Wochen wieder auf, verschwand wie ein Geist in der Flasche. Der Mullah tauchte ab und musste sein stolzes neues Anwesen mit den pink gekachelten Badezimmern und den Kronleuchterimitaten, seine Kühltruhen voll mit Pepsi-Cola, seine 21 Geländewagen und seine vier Frauen zurücklassen. Gut möglich, dass sein Auftritt als Biker auf der grossen Flucht, als einäugiger Steve McQueen des Hindukusch, seine letzte Rolle war. Wie der Star im Film könnte er im Drahtverhau seiner Verfolger hängen bleiben. Eugen Sorg

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