Basler Zeitung

04.03.2016

Eine Frage der Moral

Salam Hitler

Von Eugen Sorg

Vor Kurzem publizierte das TV-Unternehmen Al Arabiya auf seiner englischsprachigen Website einen Gastkommentar mit dem Titel: «Du denkst, Hitler sei grossartig? Dann denk nochmals nach!» Autor des Beitrags war der deutsche Journalist Florian Neuhof, der als freier Reporter aus dem Nahen Osten berichtet. Zu seiner Überraschung hatte er feststellen müssen, dass Massenmörder Hitler im islamisch-arabischen Raum «hohes Ansehen und Wertschätzung» geniesst. Überall sei Hitlers Autobiografie «Mein Kampf» zu kaufen, in Dubai und sogar im kurdischen Erbil. Hitler geniesse Kultstatus, da er als «starker und ­entschlossener Führer» gelte und weil man weitherum seinen «Antisemitismus» teile.

Jeder, der mit offenen Augen und Ohren den Nahen Osten bereist hat, kann die Beobachtungen ­Neuhofs bestätigen. Mit wenigen wackligen ­Ausnahmen sind alle islamischen Staaten ­rückständige und gewalttätige Diktaturen. Die verbotenen politischen Mitsprachemöglichkeiten werden durch Erlösungssehnsüchte und ­Verschwörungstheorien ersetzt. Und vom ­Schuhputzer in Marrakesch über den Beamten in Sanaa bis zum muslimischen Buchgelehrten in Bagdad kommen alle zum selben Schluss: Schuld an ihrer Misere und an allen anderen Übeln der Welt sind die Juden.

Juden hätten die Französische und die ­Russische Revolution sowie die beiden Weltkriege angezettelt, würden auf der ganzen Welt Bordelle betreiben und in ihren Ritualen das Blut von Nichtjuden trinken, schrieb zum Beispiel der ­ehrwürdige Grossscheich Tantawi, ehemaliger Leiter der Al-Azhar-Universität in Kairo, in seiner als Standardwerk geltenden Dissertation. Als ­wissenschaftliche Quellen führte er unter ­anderem «Mein Kampf» und «Die Protokolle der Weisen von Zion» an. Letzteres, eine antisemitische Fälschung, diente Hitler als Leitfaden seiner Judenpolitik und ist neben dem Koran das ­einflussreichste Buch in der arabischen Welt.

Die verkommenen Regierungen unterstützen diese Sicht, da diese von ihrem eigenen schänd­lichen Versagen ablenkt. 2002 strahlte das ­ägyptische Staatsfernehen eine 41-teilige Verfilmung der «Protokolle» aus, die von über zwanzig arabischen Staaten übernommen wurde. Ein Jahr darauf folgte der von Iran subventionierte Hizbollah-Sender Al-Manar mit einer 29-teiligen Serie. Produziert in Syrien, wurde sie während des Fastenmonats Ramadan gesendet und konnte via Satellit auf der ganzen Welt gesehen werden. In einer Szene verlangt ein Rabbi zum Passahfest nach dem Blut eines Christenkindes. Man schleppt den ­Nachbarsbub herbei, und die Kamera zeigt in Nahaufnahme, wie die Kehle ­aufgeschnitten und das herausspritzende Blut in einem Becken ­aufgefangen wird. Das Kinderprogramm von Al-Aqsa-TV wiederum, einem Sender der in Gaza herrschenden Hamas, muntert die Knirpse in putzigen Beiträgen auf, «Juden aus­zulöschen» und als Selbstmordattentäter zu ­sterben. Hauptsponsor der terroristischen Hamas ist Katar, welches die Fussballweltmeisterschaft 2022 ausrichten wird.

Und es ist erst zwei Monate her, seit der ­islamistische Türkenpräsident Erdogan im ­Hinblick auf eigene Machterweiterungsgelüste «Hitlers Deutschland» als Beispiel eines funktionierenden Präsidialsystems gelobt hat.

Journalist Neuhof, ganz Kind der westlichen Aufklärung, glaubt in einem «Wissensdefizit» den Grund für Judenhass und unheilvolle Führer-Bewunderung zu erkennen. Wüssten die Leute über Hitlers katastrophalen «Erfolg» wirklich Bescheid, mutmasst er – Europa verheert, Deutschland in Trümmern, sechs Millionen Juden industriell vernichtet –, würden sie ihre Meinung ändern. Diese Hoffnung dürfte allzu naiv sein. Die Hitler-Verehrung und die antijüdische Obsession sind Symptome einer in moralischen, kulturellen und politischen Desastern versinkenden Kultur. In dieser haben Argumente, Rationalität, Fakten, die Währung neuzeitlich-westlicher Zivilisation, keine Bedeutung. Der Holocaust sei eine typisch jüdische Lüge, erklärt einem der sympathische Arzt in einem Café in Amman, um nur fünf Minuten später zu sagen, Hitlers grösster Fehler sei es gewesen, nicht alle Juden umgebracht zu haben.

Dass Al-Arabiya Neuhofs Kommentar überhaupt publiziert hat, ist aussergewöhnlich. Noch bemerkenswerter wäre es gewesen, hätte der Autor einen arabischen Namen getragen.

Nach oben scrollen