Die Weltwoche / Eugen Sorg

01.02.2007

Vereinte Nationen

Theaterhumanismus

Die Uno-Vollversammlung will die Leugnung des Holocaust ächten. Bei heute stattfindendem Genozid bleibt die Weltorganisation allerdings untätig.

Am 26. Januar hiess die Vollversammlung der 192 Mitgliedstaaten der Uno eine Resolution gut, die die Leugnung des Holocaust künftig ächten sollte. Generalsekretär Ban Ki Moon lobte die Initiative, der amerikanische Uno-Botschafter Wolff bejubelte sie als «historisch», und Deutschlands Ambassadeur Matussek sah in ihr den Beweis, dass die Welt bereit sei, ihre «Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz» zu schultern. «Voraussetzung ist, dass wir der Wahrheit ins Gesicht sehen.»

Nun zeigt aber jeder nüchterne Blick auf die Welt, dass die Wirklichkeit weit von solch nobler Deklamatorik entfernt ist. Dass sich der Gesandte des Iran der Resolution ­ «ein politisches Spielchen» ­ verweigert hatte, wäre zu vernachlässigen gewesen. Im New Yorker Plenarsaal sass aber eine stattliche Anzahl Botschafter von Staaten einer ganzen Weltregion, in denen eine Kultur der Holocaust-Leugnung herrscht. In den arabischen und den meisten islamischen Ländern dominiert die in abenteuerlichen Verschwörungstheorien kolportierte Meinung, dass die Juden den Genozid erfunden hätten, um die Menschheit zu erpressen und die Weltherrschaft zu erringen. Hitler sei der Sohn einer jüdischen Prostituierten gewesen, ein Jude, wie seine Mitstreiter, seine Geliebten, sein Leibarzt, eröffnete etwa Mohammad Ali Ramin, der Berater des iranischen Präsidenten Achmadinedschad, in einem Interview. Juden würden sich bald in Affen und Schweine zurückverwandeln, vernichtet und ins Meer geworfen werden, verkündete der Kinderkanal des Hisbollah-Senders al-Manar. Dass die Juden in Gaskammern umgebracht worden seien, so die ägyptische Regierungszeitung al-Masaa, sei eine typisch jüdische Lüge. Tatsächlich habe es nur Desinfektionsräume für dreckige Kleider gegeben.

Vor allem aber kontrastierte das Pathos der Uno-Vertreter mit der Realität der eigenen jüngeren Institutionsgeschichte. Ab Januar 1994 hatte der in Ruanda stationierte Uno-General Dallaire mehrfach die Zentrale in New York vor einem kurz bevorstehenden Genozid an den Tutsi gewarnt und um die Erlaubnis gebeten, die Waffenverstecke der potenziellen Mörder ausheben zu dürfen. Diese wurde ihm nicht nur verwehrt, sondern man reduzierte seine ohnehin miserabel ausgerüstete Unamir-Truppe von 2500 auf 250 Mann. Im April begann die angekündigte Ausmerzung der Tutsi. In drei Monaten wurde eine Million Menschen geschlachtet.

Ein Jahr später, im Juli 1995, halfen eingeschüchterte Uno-Soldaten den serbischen Eroberern von Srebrenica, die 8000 muslimischen Männer und Jungen des Städtchens in Busse zu verfrachten, mit denen sie in den Wald gefahren wurden, um erschossen und verscharrt zu werden. Der Sicherheitsrat der Uno hatte Srebrenica zur Schutzzone erklärt, aber wie in Ruanda überliess die Weltorganisation trotz Versprechen, Kenntnis und militärischer Überlegenheit die Bevölkerung einer mordbereiten Soldateska. Bei einer weiteren Tragödie sah die Uno schlecht aus. Ab 2003 trafen aus Darfur im Sudan die ersten Berichte in New York ein, die von ethnischen Vertreibungen, Massenmorden, Vergewaltigungen erzählten. Ein Jahr lang wurden sie ignoriert, später schickte man Menschenrechtsbeobachter, verfasste Memoranden, mahnte die Regierung in Khartum, ohne aber wirksame Massnahmen zu ergreifen. Bis heute sind geschätzte 2 Millionen Sudanesen auf der Flucht und 400 000 gestorben.

Die Vollversammlung hatte die Aura des Irrealen. In Darfurs Steppen ging die Menschenjagd weiter, während sich die überzahlten Botschafter im Glaspalast am East River mit dem fiktiven Erfolg einer folgenlosen Holocaust-Resolution aufbauten. Als ob der imaginierte Weltstaat die reale Impotenz mit Friedensrhetorik und Theaterhumanismus überdröhnen wollte.

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