Die Weltwoche

23.05.2019

Eine Frage der Moral

Warum Araber Kriege verlieren

Von Eugen Sorg

Moderne Kriege gewinnt, wer Feuerkraft mit Schnelligkeit und Überraschung zusammenführen kann. Dazu braucht es flexible und kreative Kommandanten.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben die arabischen Armeen jeden Krieg verloren, den sie anfingen oder in den sie hineingezogen wurden. Den Auftakt zur Desaster-Serie machten 1948 fünf arabische Staaten, die noch in der Gründungsnacht Israels dem jungen Staat den Krieg erklärten und schworen, die «Juden ins Meer zu treiben». Trotz grosser numerischer und waffenmässiger Überlegenheit wurden die arabischen Heere von den erst sich formierenden israelischen Kampfverbänden gedemütigt und aufgerieben.

Neun Jahre darauf, im Juni 1967, marschierten erneut ägyptische, syrische und jordanische Bataillone an den Grenzen zum Judenstaat auf. «Das Ende Israels ist gekommen», verkündete Radio Kairo auf Hebräisch, und der jordanische König Hussein stachelte seine Krieger an: «Tötet, tötet, tötet; mit Händen, Nägeln, Zähnen.» Sechs Tage später waren die Araber besiegt. Bilder von Militärstiefeln im Wüstensand gingen um die Welt. Die arabischen Soldaten hatten sie weggeworfen, damit sie schneller aus ihren Stellungen davonrennen konnten. Die Ägypter hätten zwar über die erforderlichen Waffen verfügt, bilanzierte Israels General Mosche Dajan, aber nicht über die «erforderliche Kampfmoral».

Am jüdischen Feiertag Jom Kippur 1973 erfolgte ein weiterer Angriff auf Israel. Ägypten war es gelungen, Zehntausende von Männern und Tonnen von Kriegsmaterial, unbemerkt von den jüdischen Geheimdiensten, über den Suezkanal zu transportieren und gleichzeitig mit syrischen und arabischen Verbänden in Richtung Israel vorzustossen. Der Anfangserfolg war bald wieder verspielt, die panarabische Streitmacht innert zweieinhalb Wochen geschlagen.

Zu einem weiteren Debakel für die arabische Herrlichkeit geriet der erste Golfkrieg von 1980, als es den irakischen Kampfeinheiten des im islamisch-arabischen Raum gefeierten starken Mannes Saddam Hussein auch nach acht Jahren bellizistischer Ausblutung nicht gelingen wollte, den von Sektenrevolution, Wirren und internationaler Isolation geschwächten Iran in die Knie zu zwingen. Oder als im zweiten Golfkrieg 1991 Saddams Invasionsarmee von einem westlichen Bündnis schmählich und praktisch ohne Gegenwehr wieder aus Kuwait davongejagt wurde und erneut Bilder von verlassenen Militärstiefeln um die Welt gingen. Oder als 2003 eine amerikanisch-britische Koalition in zwanzig Tagen die irakischen Streitkräfte zerlegte, die modernsten und mächtigsten dieser Weltgegend, als bestünden sie aus Papp-Attrappen, und den geflüchteten Diktator Saddam, «Führer der arabischen Völker», aus seinem Versteck in einem Erdloch hervorzerrte.

Was ist der Grund für das chronische Versagen, für die schlechte Kampfbilanz der arabischen Heere? Diese Frage haben sich Beobachter immer wieder gestellt. Den neuesten Versuch einer Beantwortung liefert Kenneth M. Pollack, Militärhistoriker und ehemaliger CIA-Analyst. In seiner Studie «Armies of Sand» diskutiert er verschiedene gängige Erklärungsmodelle für die schwache militärische Leistung, wie den angeblich schädlichen Einfluss sowjetischer Kampfdoktrin und Waffensysteme, die wirtschaftliche Rückständigkeit oder die politische Kurzführung und lähmende Kontrolle der Streitkräfte durch die diktatorischen und paranoiden Regime des Nahen Ostens. Pollack verneint den negativen sowjetischen Einfluss, relativiert die Bedeutung der Ökonomie und der Politisierung, glaubt indes in der Kultur jenen dominanten Faktor zu erkennen, der die Kampfmoral erstickt und zum militärischen Scheitern führte.

Traditionelle arabische Gesellschaften weisen gemeinsame kulturelle Verhaltensmuster auf. Familie, Stamm, Fabriken, Bürokratie, Unternehmen, Ausbildungssysteme, sämtliche sozialen Systeme sind von Autoritarismus, Hierarchie und Konformismus beherrscht. Historisches Modell des Lehrens und Lernens ist der Koranunterricht. Für heilig erklärte Texte werden papageienhaft memoriert, gedankenlos, passiv, unreflektiert. Individualität und Eigeninitiative werden abgewürgt, geistlose Beflissenheit und Unterwerfung belohnt.

Diese Art zu handeln, setzt sich im militärischen Apparat fort, wo sie sich als besonders fatal erweist. Moderne Kriege gewinnt, wer Feuerkraft mit Schnelligkeit und Überraschung zusammenführen kann. Dazu braucht es Kommandanten, die fähig sind, so Pollack, unter Gefechtsdruck eigenmächtig zu entscheiden, den taktischen Plan zu ändern und ihrer Einheit voranzugehen. «Sie zeigen Initiative, Flexibilität, Kreativität, Unabhängigkeit und ein Verständnis für Operationen mit kombinierten Waffen», alles Eigenschaften, die den Frontkommandanten der arabischen Truppen in den letzten sieben Jahrzehnten fehlten.

Wenig hilfreich ist dabei auch das archaisch-tribale Mentalkonzept von Ehre und Scham. Fehler sind keine individuellen Fehleinschätzungen, aus denen man lernen kann. Sie bedeuten eine Entehrung der eigenen Gruppe, einen beschämenden Angriff auf die Würde des eigenen Clans. Der Fehlbare versucht sein Missgeschick zu verbergen, er beschuldigt andere, lügt oder fabuliert fantastische Geschichten zusammen. Und wird beim nächsten Mal den gleichen Fehler wieder machen. Andere Traditionen der arabischen Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel die beduinische Verachtung von manueller Arbeit, vertragen sich ebenso wenig mit den Erfordernissen einer elaborierten Kriegstechnologie. Als in den achtziger Jahren die Amerikaner die Wartung für die ägyptischen F-4 Phantoms einstellten, wurden die Kampfflieger bald nonoperational .

Wenn Pollack recht hat und die Kultur über Art und Effizienz der Kriegsführung entscheidet, dann ist dies keine gute Nachricht für die arabischen Völker. Kulturen ändern sich bekanntlich nur sehr langsam. Aber es ist eine gute Nachricht für Israel.

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